Wie erzählt man heute, wo die #MeToo-Bewegung wieder vermehrt negativ wahrgenommen zu werden scheint, von einem Missbrauchsfall? Autorin, Regisseurin und Schauspielerin Eva Victor liefert mit ihrem Spielfilmdebüt „Sorry, Baby“ die perfekte Antwort. Mit trockenem Humor und nuancierten Gefühlen navigiert sie ihre Protagonistin durch die Jahre nach dem einschneidenden Erlebnis.

Credit: Courtesy of A24.
„Trauma-Porn“ ist keine Kategorie auf illegalen Webseiten – wobei, wer weiß? – sondern ein Begriff aus der Film- und Medienkritik für die Glorifizierung des Traumatischen. Krieg, Vergewaltigung und Ähnliches werden in diesen Fällen übertrieben und in erster Linie zu Unterhaltungszwecken dargestellt, was tatsächlich Betroffenen wenig bringt, außer allenfalls eine Re-Traumatisierung. Müsste man eine Gegendefinition des „Trauma-Porn“ in Form eines Films finden, dann wäre das Eva Victors „Sorry, Baby“, bei dem sie das Drehbuch schrieb, Regie führte und die Hauptrolle besetzte.
Das Trauma in „Sorry, Baby“ ist eine Vergewaltigung. Doch statt diese den ZuschauerInnen in die Retina zu brennen, geht es in der 103-minütigen Erzählung mit leichten Zeitsprüngen vor allem ums Danach, um das Weiterleben, das nicht vom Trauma diktiert werden muss und nicht zuletzt um die unzerstörbare Verbindung zweier Frauen, mit der keine romantische Beziehung je mithalten könnte.

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Der Täter ist selten ein Fremder
Eva Victor spielt Agnes, eine angehende Professorin der englischen Literatur. Aus ihrer kleinen Gruppe an MitstudentInnen sticht sie mit ihrem Schreibtalent heraus. Als ihr Professor (Louis Cancelmi) ein Meeting über Agnes’ Dissertation zu sich nach Hause verlegt, wird klar, dass dieser nicht nur an ihrem Intellekt Gefallen gefunden hat.
Eva Victors narrative und visuelle Entscheidungen sollten als Paradebeispiel dafür eingehen, wie sexuelle Übergriffe auf der Leinwand dargestellt werden können. Man muss die Vergewaltigung nämlich nicht sehen, um deren Schwere zu verstehen. Statische Einstellungen von Professor Deckers Haus, die von Nachmittag zu spät in die Nacht wechseln, eine verwirrte Agnes, die aus der Tür stolpert, hastig in ihre Boots schlüpft und zu ihrem Auto eilt: Damit ist genug gesagt.
Zuhause angekommen erzählt Agnes ihrer besten Freundin und Mitbewohnerin Lydie (Naomi Ackies) detailliert, was alles passiert ist. Die beiden kommen zum Schluss, dass es eben tatsächlich eine Vergewaltigung war, oder, wie sie es nennen – The Bad Thing.
Eva Victor beweist ein Gespür für die Realität, wie es sonst selten in Filmen zu sehen ist. Der Vergewaltiger ist kein böser Fremder, wie es sonst von Medien und Gesellschaft gleichermaßen propagiert wird, um nicht damit klarkommen zu müssen, dass die Täter eben genau die netten Typen um die Ecke sind. Er ist ein angenehmer, fast schüchterner Mann aus Agnes’ engem Kreis. Und einer, der als ihr Mentor und Professor über Macht verfügt. Konsequenzen gibt es für ihn keine – er kündigt und ist am nächsten Tag schon verschwunden. So kann auch die Universität keine Strafverfolgung mehr einleiten. Für alle ist die Sache somit vom Tisch. Außer für Agnes, die zwar ihren trockenen Humor nicht verliert, aber zunehmend mit Ängsten und leise brodelnder Panik konfrontiert ist.

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Davor und danach
Die Jahre danach sind nicht einzig auf Agnes erlebtes Trauma beschränkt. Sie promoviert und übernimmt die Position und das Büro ihres Täters. Sie lebt weiter.
Lydies und Agnes’ Leben entwickeln sich unterschiedlich schnell und in andere Richtungen. Nichts davon ändert etwas an der engen Freundschaft. Der Film eröffnet mit einem Wiedersehen der beiden und zeigt damit, dass diese Freundschaft sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte zieht.
Eva Victors Regiedebüt erscheint zum besten Zeitpunkt. Die #MeToo-Bewegung wird kaum mehr ernst genommen, verurteilte Sexualstraftäter regieren die Welt und niemanden scheints so richtig zu kümmern. Diese Geschichte zeigt, dass Täter nicht nur kaum Konsequenzen spüren, sondern auch, dass die Linien verschwimmen können. Agnes äußert einmal, dass sie eigentlich gar nicht will, dass ihr ehemaliger Professor im Gefängnis landet. Und doch ist es sie, die noch Jahre nach dem Vorfall damit zu kämpfen hat. Wenn sie nicht an den Vorfall denkt, fühlt sie sich paradoxerweise schon fast schuldig, und wenn das Erlebte sie auch nach Jahren noch heimsucht, ebenso: Ein verzwicktes Szenario, mit dem Überlebende von Gewalt tagtäglich konfrontiert sind. Doch statt in Verzweiflung endet „Sorry, Baby“ mit dem herzerweichendsten Monolog. Agnes passt auf Lydies neugeborenes Baby auf und versichert diesem, dass sie sich später mit jedem Problem an sie werde wenden können. Einmal mehr gilt: Die Bindung von Frauen untereinander hält die Welt zusammen.

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Einen Vorgeschmack auf die Geschichte kannst du hier anschauen.
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