Patrick Pierazzoli: Lizzo Love
Melissa Viviane Jefferson ist schon eine ganze Weile im Musikgeschäft. Schon mit 14 gründete die heute 30-Jährige ihre ersten Rap-Combos in Houston, Texas, wo sie aufgewachsen ist und lebte, bis es sie 2011 nach Minneapolis zog. Sie zu überhören oder gar zu übersehen, ist eigentlich nicht möglich, trotzdem startet Lizzo, wie Melissa mit Künstlername heisst, erst jetzt so richtig durch. Ihr drittes Soloalbum „Cuz I Love You“ erscheint diesen Monat und wird abgehen wie eine Rakete. Garantiert, denn seit die erste Single „Juice“ veröffentlicht wurde, kann keiner mehr ruhig sitzen. Von Ellen bis Jimmy verwandelt Lizzo mit ihrem Zaubersaft ein Late-Night-Studio nach dem anderen in eine funkverseuchte Disco, und jeder liebt sie. Ich auch. Und sie sich auch. Schon seit vielen Jahren kämpft Lizzo für Frauenrechte und Body Positivity. Trotzdem scheint sie selbst erst jetzt daran zu glauben, wie sexy sie wirklich ist, denn auf einmal kann nichts und niemand sie mehr aufhalten. Und das ist gut so.
Marina Warth: Schwarzer Daumen
Dort, wo das Meer nicht hinkommt, wo es staubt, die Luft steht und die Sonne brennt, da wächst der Olivenbaum. Die Hitze schüttelt er von sich wie ein Hund seine Flöhe, die Jahre tun ihm nichts, im Gegenteil. Zu überleben ist sein Spezialgebiet – eigentlich. Bei mir zuhause jedenfalls nicht. Zwei Monate ging’s, bis sich mein Olivenbaum ergeben hat. Traurig war’s und irgendwie auch peinlich. Denn eigentlich spricht es doch für eine Frau, wenn sie gut mit Pflanzen kann – dieselbe Logik wie beim Mann mit Hund. Nun gut, ich kenne zu viele Männer, die Katzen lieben und trotzdem ganz in Ordnung sind, also muss ich mich für mein vegetabiles Handicap nicht schämen. Sag ich mir. Damit meine Wohnung dann doch nicht nur Bilder und Souvenirs aus fremden Ländern schmücken, kommen bei mir nun Eukalyptus-Zweige in die Vase. Die haben diese schöne Farbe, die mich an Gischt erinnert, an Meer und Wellen und alles, was mit Urlaub zu tun hat. Das schlagende Argument: Eukalyptus ist Survival-Experte, quasi der Bear Grylls unter den Pflanzen, nicht totzukriegen, egal ob du ihn giesst oder nicht, ob du mit ihm quasselst oder ihn ignorierst, ihn ans Fenster stellst oder neben den Fernseher. Und er gibt jedem, der von Pflanzen noch weniger Ahnung hat als ich, das Gefühl, als spriesse in meiner Wohnung das grüne Leben. Ehre gerettet.
Marco Rüegg: Blutrot
Süss und salzig kann jeder. Bitteraromen hingegen sind für unseren Gaumen das Pendant zur Alpe d’Huez an der Tour de France: die Königsetappe, die knallhartes Training erfordert. Das ist evolutionär bedingt, unsere Sensoren reagieren skeptisch auf Herbes, weil viele giftige Pflanzen bitter schmecken. Insofern müssen die Herren Campari ziemlich dicke Eier gehabt haben, als sie Mitte des 19. Jahrhunderts einen Likör aus Chinin, Ginseng und Orangenschale lancierten und ihn mit einer aus Schildläusen gewonnenenen Substanz dunkelrot färbten. Heute, wo Direktor Luca Garavoglia noch als Letzter das Originalrezept kennt, hat man in Mailand total vegan auf künstliche Stoffe umgesattelt. Offiziell. Insgeheim jedoch tröpfeln sie für den charakteristischen Kolorit in jede Flasche einige Tropfen vom konservierten Herzblut des 1882 dahingeschiedenen Urvaters Gaspare Campari. Dies zumindest meine Theorie zur Basis meines Standard-Apéros. In diesen gehören neben Eis und etwas Soda 3cl Campari und 1,5 dl Weisswein (wobei ich das Mischverhältnis gern umkehre). Das heisst dann Bicicletta. Von wegen Tour de France…