Eine Brille lässt dich die Welt sehen. Eine gut designte Brille lässt die Welt dich sehen. So wie die Modelle von Moscot. Das Familienunternehmen aus New York City blickt auf eine 110-jährige Geschichte zurück. Und Persönlichkeiten wie Andy Warhol, Uma Thurman und Robert Downey Jr. blickten durch dessen Gläser. Im Interview sprechen wir mit Chefdesigner Zack Moscot über Tradition, Innovation und worauf es bei der Brillenauswahl wirklich ankommt.
Gott ist eine Optikerwerbung. Zumindest für F. Scott Fitzgeralds „The Great Gatsby“. Im Roman preist ein mysteriöser Optometrist namens T. J. Eckleburg seine Dienste an mit einer riesigen Reklametafel, von der zwei gesichtslose Augen durch ein Brillengestell starren. Sie symbolisieren eine höhere Macht, die schweigend das Treiben der armen Teufel und gefallenen Engel unter sich bezeugt und einige von ihnen langsam in den Wahnsinn treibt. Es ist wahrscheinlich, dass der Autor Fitzgerald zu diesem Bild inspiriert wurde, als er eines Tages irgendwann zwischen den Jahren 1919 und 1924 in seinem Wohnort New York an der 94 Rivington Street vorbei zog und sein Blick an der auffälligen Gebäudefassade hängen blieb. Zwei nimmerblinzelnde Augen flankierten auf einem großen Werbebanner den Namen des eingemieteten Geschäfts: Moscot. „Augen untersuchen, Gläser anpassen, zu tiefsten Preisen“ versprach der gleichnamige Besitzer, Hyman Moscot, im Schaufenster. 1899 war der Geschäftsmann aus Osteuropa in die USA eingewandert und verkaufte seine Brillen zunächst aus einer Schubkarre auf der Strasse, bis er 1915 an Manhattans Lower East Side einen Laden eröffnete. Schon bald sorgte Moscot für einen klaren Durchblick in der Nachbarschaft. Dann, über die Jahre hinweg, auch in New Yorks angesagtesten Kreisen. Und heute? Auf der ganzen Welt. Die Anekdote zu „The Great Gatsby“ ist bloß ein Tropfen tief unten im Meer popkultureller Relevanz, in der Moscot heute schwimmt. Als New York City über die Jahre hinweg immer mehr kreative Köpfe mit schlechten Augen anzog, entwickelte sich das Unternehmen zur ersten Adresse für stylische Abhilfe. Damals waren es Truman Capote und Andy Warhol, die über die Ladenschwelle traten, heute sind es Demi Moore und Scarlett Johansson. Sie alle erwartet ein Interieur, das sich in den vergangenen 110 Jahren kaum verändert hat. Und Brillendesigns, die kein Auge auf schnelllebige Trends werfen, sondern klassische Eleganz im Visier haben. Diese verantwortet inzwischen Zack Moscot. Als Chefdesigner und Sohn von CEO Harvey Moscot vertritt er die Familie in fünfter Generation.


FACES: Wann wurde dir in der Kindheit zum ersten Mal bewusst, dass du in ein Familienunternehmen hineingeboren wurdest, an dem du eines Tages beteiligt sein könntest?
Zack Moscot: Gute Frage. Wenn man in einem Mehrgenerationen-Familienunternehmen arbeitet, ist das alles, worüber gesprochen wird. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich ein Teil davon sein wollte, als ich aufwuchs. Als ich jung war, hatte ich nur nicht wirklich verstanden, wie ich dazugehören sollte. Ich habe keine Augäpfel geliebt (lacht). Ich wollte nicht Optiker werden wie mein Vater. Ich habe mich auch nicht besonders für die medizinische Komponente der Augenheilkunde begeistert. Aber ich habe Design geliebt. Ich liebte Objekte, liebte das Kreieren. Meine Mutter war Künstlerin und Designerin, und so hat sie mich inspiriert zu sagen: „Hey, warum steigst du nicht irgendwann in das Geschäft ein und nutzt deine kreativen Fähigkeiten, anstatt dich auf den Augenpflege-Aspekt zu konzentrieren?“ Da hatte ich also meinen Aha-Moment, um zu studieren, zu designen und in das Geschäft einzusteigen. Eine neue Perspektive zu bieten und die Führung im kreativen Bereich und bei allem, was produktorientiert ist, zu übernehmen. Da fällt mir eine lustige Geschichte ein: Als ich etwa vier oder fünf Jahre alt war, nahm mich meine Großmutter mit zu meinem Vater und meinem Großvater, als sie ihre Arbeit im Geschäft beendeten. Ich war noch sehr klein und schrie: „Lasst mich aus dem Auto raus! Ich bin ein Eigentümer!“ Und ich rannte in den Laden, und meine Großmutter rannte hinter mir her. Ich glaube, in diesem Moment wusste meine Familie, und ich wusste wahrscheinlich auch, dass ich irgendwann in das Geschäft einsteigen würde.
F: Macht es die Arbeit schwieriger, wenn diese so eng mit der Familie verbunden ist?
ZM: Es ist schwieriger. Schwieriger in dem Sinne, dass es alles ist, was du lebst und atmest. Wenn ich meinen Vater bei der Arbeit oder auch außerhalb der Arbeit sehe, wird alles zu einer Art Familie und Arbeit. Das hat durchaus negative Aspekte. Manche Leute trennen diese Dinge gerne voneinander. Aber ich glaube auch, für uns ist es positiv. Weil wir es so sehr lieben und mit so viel Leidenschaft dabei sind. Das hat zur Folge, dass wir jede Sekunde unseres Lebens darüber reden und uns darauf konzentrieren. Aber natürlich sind wir auch nur Menschen, nicht wahr? Ich und mein Vater haben definitiv unsere Momente. Aber weil wir uns so nahe stehen und so leidenschaftlich bei dem sind, was wir tun, meistern wir diese Herausforderungen immer.

„Kinder zu haben hat mich gelehrt, dass man Zeit hat.“
F: Kommt es vor, dass ihr bestimmen müsst: „Okay, wir haben jetzt Familiendinner. In den nächsten zwei Stunden wird nicht über die Arbeit geredet.“?
ZM: (lacht) Wir wissen, wann es Momente gibt, in denen wir nicht darüber sprechen sollten. Aber es fällt uns schwer, das zu tun. Ich glaube, der Rest der Familie hat sich damit abgefunden.
F: Was ist der beste Ratschlag, den dir dein Vater erteilt hat?
ZM: Fokussiere dich auf die Kommunikation. Er kommt offensichtlich aus einer anderen Generation als ich. Oft sagt er mir: „Nimm das Telefon ab und hör auf, so ein Millennial zu sein.“ Er hat mir beigebracht, dass es bestimmte Dinge gibt, die nicht am Computer erledigt werden können, und dass menschliche Interaktion wichtig ist. Der Umgang mit Menschen, die Kommunikation mit den KundInnen, so vieles von dem, was wir tun, dreht sich um die Menschen. Mein Vater hat mir beigebracht, wie wichtig es ist, von Angesicht zu Angesicht und mit einer Stimme zu kommunizieren. In unserem Alltag sind wir so oft in einem Chat oder einer E-Mail gefangen, und das ist einfach nicht dasselbe.
F: Du hast inzwischen auch Kinder.
ZM: Ja, ich habe drei. Meine Mädchen sind Zwillinge und sind fünf Jahre alt. Und mein Sohn ist drei.
F: Welchen Ratschlag möchtest du ihnen eines Tages mit auf den Weg geben? Hoffst du, dass auch sie eines Tages die Arbeit bei Moscot weiterführen?
ZM: Ich würde mich freuen, wenn die nächste Generation Teil des Unternehmens wäre. Aber ich werde keinen Druck auf sie ausüben. Mein Vater hat nie Druck auf mich ausgeübt, was ein großes Glück war. Ich weiß, dass sein Vater Druck auf ihn ausgeübt hat, aber er hat keinen Druck auf mich ausgeübt. Kinder zu haben hat mich gelehrt, dass man Zeit hat. Das hilft den Dingen, sich natürlich zu entwickeln. Das trifft auch auf die Marke zu, die wir erschaffen haben. Man kann bestimmte Dinge nicht erzwingen. Manchmal entsteht organisch etwas, das so viel stärker ist als jenes, das man erzwingen will. Deshalb rate ich: Geduld ist wichtig. Das sorgt für ein nachhaltigeres Wachstum.
F: Was inspiriert deine Arbeit? Gibt es bestimmte Filme, Musik, KünstlerInnen?
ZM: Ich lese gerne über Psychologie. Wie Menschen über Produkte denken, wie Verpackung, Marketing und Markenwahrnehmung die Kaufentscheidung beeinflussen. Was die Musik angeht: Erst letzte Woche hat uns John Mayer im Laden besucht. Mein Vater hat bei ihm eine Augenuntersuchung durchgeführt. Sie sprachen über Musik, Kunst und Kultur. Und zufällig ist John jemand, den wir beide lieben. Was erstaunlich ist, weil mein Vater und ich aus verschiedenen Generationen stammen, aber wir beide haben die gleiche Leidenschaft und Wertschätzung für seine Musik. John hat ein wenig auf den Gitarren meines Vaters gespielt und es ist einfach cool, wie Musik oder Kunst oder KünstlerInnen die Generationen überbrücken können.
„Wir sagen gerne: Die Leute tragen die Rahmen und nicht die Rahmen die Leute.“
F: Für die neue Werbekampagne hat Moscot traditionelle Fotografie mit künstlicher Intelligenz kombiniert, um die Entwicklung der Marke im Verlauf der Jahrzehnte abzubilden. Siehst du weiteres Potential von KI in der Branche und deiner Arbeit? Gibt es Bereiche, wo sie komplett weggelassen werden sollte?
ZM: Es ist ein heikles Gleichgewicht. Als wir K.I. benutzten, wollten wir nicht futuristisch sein, sondern die Fähigkeit nutzen, in die Vergangenheit zu blicken. Denn Moscot hat diese Geschichte, und es gab Momente, die wir nicht in unserem Archivbuch hatten, die wir aber sehen wollten. Es ist wichtig zu erwähnen, dass wir einen Künstler benutzt haben, um es richtig zu machen. Wir haben nicht versucht, die Kunstfertigkeit durch ein Werkzeug zu ersetzen. Wir haben es benutzt, um die Kunstfertigkeit zu verbessern. Also wurde kein Künstler oder Fotograf in diesem Prozess entfernt. Ich denke, das ist wirklich wichtig. Denn oft denken die Leute, dass ein Unternehmen KI einsetzt, um die künstlerische Arbeit zu ersetzen. Das ist nicht unsere Absicht. Es war ein unterhaltsamer Test und ein gutes Beispiel dafür, wie wir die Technologie nutzen wollen, um zu wachsen – aber immer mit Blick auf die Vergangenheit. Jedes Mal, wenn wir einen Schritt nach vorne machen, müssen wir immer auch unsere Vergangenheit bewahren. Das Gleiche gilt für mich beim Design. Wenn ich einen neuen Rahmen entwerfe, kann es sein, dass ich etwas Bestehendes weiterentwickle. Oder ich habe die Absicht, etwas Neues zu entwerfen – immer mit dem Gedanken, wie es in der Vergangenheit war. Es ist ein heikles Gleichgewicht, vorwärts zu gehen, aber stets den Blick nach hinten nicht zu vergessen.
F: Eine Technologie, die es bislang nicht geschafft hat, bei einem breiteren Publikum Fuß zu fassen, sind Smart Glasses wie jene von Google oder Meta. Weshalb? Und zieht Moscot in Betracht, in diesen Bereich zu expandieren?
ZM: Wir sind offen dafür, Dinge auszutesten. Aber es ist nicht etwas, das wir im Moment in Betracht ziehen. Ich sehe die tragbare Technologie als Brille nicht anders als die tragbare Technologie am Handgelenk. Manche Leute wollen eine Rolex und manche Leute wollen eine Apple Watch. Es gibt unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen, die auf dem Lebensstil der jeweiligen Person beruhen und darauf, was sie aus modischer und funktionaler Sicht erreichen möchte. Manche Leute legen Wert auf tragbare Technologie, aus welchem Grund auch immer. Und das ist eine tolle Sache. Andere wiederum legen Wert auf zeitlose Mode. Brillen sind aus modischer Sicht sehr ähnlich. Manche Leute wollen unterschiedliche Dinge. Es kommt auf den Tag an, auf das Outfit, auf das, was man erreichen will. Ich denke, das ist eine gute Analogie – jedoch kommt bei der Brille noch eine medizinische Komponente hinzu. So kann es sehr komplex sein, das Sehen mit Formen der Technologie zu kombinieren. Als traditionsreiche Modemarke stehen wir aber mehr auf der Rolex-Seite als auf der Apple-Watch-Seite. Doch wird es immer Nachfrage nach beidem geben. Ich sehe es nicht so, dass entweder das eine oder das andere scheitert und das eine oder andere funktioniert. Verschiedene Leute wollen die Mode, verschiedene Leute wollen die Technologie.
F: Welchen Ratschlag gibst du Personen, die sich für ein Brillendesign entscheiden? Gibt es bei der Wahl kleine Details, die einen großen Unterschied ausmachen?
ZM: Als New Yorker sagen wir den Leuten nicht, welchen Stil sie tragen sollen. Wir überlassen es ihnen, ihren Stil auf der Grundlage ihrer Persönlichkeit zu bestimmen. Und es gibt eine Menge interessanter Persönlichkeiten in New York City (lacht). Das macht die Leute hier so großartig: dass sie das tragen, was sie tragen wollen. Wir sagen gerne: Die Leute tragen die Rahmen und nicht die Rahmen die Leute. Das spricht für die Individualität der Menschen. Als OptikerInnen beraten wir sie aber in Bezug auf die Passform. Denn auch hier geht es wieder um die Komponente des Sehens. Man muss die richtigen Gläser für den Lebensstil wählen, basierend auf der Verschreibung, und oft diktieren diese Bedürfnisse auch die Art der Fassung, die man tragen kann. Es gibt eine Menge unterschiedlicher Variablen. Aber wenn es um die Passform und das optische Fachwissen geht, konzentrieren wir uns auf die Gesichtsform, die Gesichtsgröße und einige Dinge wie Hautfarbe, Augenfarbe oder Haarfarbe, die wir als kleine Anhaltspunkte nutzen.

„Alles, worauf ich mich konzentrieren kann, ist großartige Brillen zu machen.“
F: Jack Nicholson soll einmal gesagt haben: „Trage ich meine Sonnenbrille, bin ich Jack Nicholson. Trage ich sie nicht, bin ich fett und 60 Jahre alt.“ Stimmst du zu, dass die Brille einen so starken Einfluss auf die Wahrnehmung unserer Persönlichkeit durch andere haben kann?
ZM: (lacht) Ja, absolut. Es stimmt zu 100% und glücklicherweise bin ich in einem Geschäft, in dem sich das Accessoire im Gesicht befindet. Die Brille ist das erste, was jemand von uns wahrnimmt. Nicht den Gürtel oder die Uhr. Wir nehmen als Menschen zuerst Blickkontakt auf, und somit ist die Brille das wichtigste Accessoire, das man haben kann. Mein Vater sagt, dass es das Erste ist, was man morgens anzieht und das Letzte, was man abends ablegt, weil man aus medizinischen Gründen klar sehen muss. Dadurch wird die Brille zu einem wesentlichen Bestandteil der Persönlichkeit und des Stils eines Menschen. Es gibt berühmte Ikonen, auch KundInnen von uns, die wegen ihres Aussehens bekannt geworden sind, weil ihre Brille zum Synonym für ihre Person geworden ist. Ich denke, dass Jack mit dieser Aussage richtig liegt – nicht, dass er fett ist (lacht). Aber: Die Brille ist ein wichtiger Teil von dem, wie wir wahrgenommen werden.
F: Du hilfst den Menschen, besser zu sehen. Wovon würdest du in der Welt gerne mehr sehen?
ZM: Wir haben das Glück, dass unsere Brillenfassungen auf der ganzen Welt in verschiedenen Ländern von Menschen mit unterschiedlichen Überzeugungen getragen werden. Ich würde gerne mehr Einigkeit und weniger Spaltung sehen. Mein Vater sagt: „Wir können die Politik nicht kontrollieren, aber vielleicht können wir die Welt retten – eins ums andere.“ Uns geht es darum, Menschen zusammenzubringen. Alles, worauf ich mich konzentrieren kann, ist großartige Brillen zu machen.

Moscot
Hyman Moscot hatte the eyes on the prize, als er in Manhattan begann, Brillen aus einer Schubkarre zu verkaufen. Heute sind Moscot-Gläser the prize on the eyes und werden weltweit in aktuell 32 Filialen gehandelt, unter anderem auch in München, Wien und Zürich. Die Kundenliste liest sich wie eine Meile vom Hollywood Walk of Fame, doch der Erfolg liegt nicht auf der Straße: Die zeitlosen Designs von Modellen wie der Lemtosh oder der Miltzen werden regelmäßig neu interpretiert. Dafür verantwortlich ist Chefdesigner Zack Moscot, die fünfte Generation im Familienunternehmen.
moscot.com
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Fotos: © Moscot, Picture Alliance