Fashion Fighter
Wenn du in der Mode nicht polarisierst, säufst du ab wie ein leckes Schlachtschiff. Davor hat Ezgi Cinar keine Angst, ist die Kreativdirektorin doch immer für ein Statement gut. Das bringt die Kollektionen der Zürcherin an die Bahnhofstraße und in den Kleiderschrank von Madonna.
FACES: Wie bist du zur Mode gekommen? Kannst du uns deinen Werdegang beschreiben?
Ezgi Cinar: Es gibt nicht den Tag X, Mode hat mich einfach fasziniert, seit ich klein war. Ich bin seit über 20 Jahren in der Branche und habe von der Couture-Schneiderei übers Styling zur Art Direction, Brandmanagment und Fashion Consulting so ziemlich alles hinter mir, bis ich mein eigenes Label auf den Markt gebracht habe. Den Erfolg, den ich jetzt mit meinem Label habe, verdanke ich diesem Werdegang: Ich kann nicht nur schöne Kleider entwerfen, ich weiß auch ziemlich gut Bescheid, was sonst noch alles dazu benötigt wird.
F: Wann bist du auf deine Arbeit besonders stolz?
EC: Immer dann, wenn ich eines meiner Ziele erreicht habe, und „Next“ sagen kann.
F: Welcher Einsatz deiner Mode war für dich bisher der wichtigste?
EC: Da gab es inzwischen einige Steps, und alle davon waren wichtig. Ein Stein gehört auf den anderen, sonst hält das Gerüst nicht lange. (lacht)
F: Welches deiner Kleider ist dein liebstes?
EC: Ich habe aus jeder Saison meine Lieblingstücke. Aus der aktuellen Twenty Four Seven SS20 Kollektion sind das das After Work Dress, das Kill Bill Set, die Free N… Lederhosen und der Just like that Jumpsuit.
F: Wo produzierst du, und welche Herausforderungen stellen sich dabei?
EC: Ich produziere in der Schweiz und in der Türkei, wobei mich hier die Preise am meisten herausfordern und in der Türkei die Organisation.
F: Hast du schon mal daran gedacht, alles hinzuschmeißen?
EC: Ich habe noch nie in meinem Leben etwas hingeschmissen, und solange ich atme, wird das auch nicht vorkommen.
F: Welche Schweinerei in der Mode ist die schlimmste?
EC: Ich tue mich mit einigen Punkten schwer, aber am meisten stört mich die Wegwerf-Mentalität. Die Textilindustrie ist der zweitgrößte Umweltverschmutzer überhaupt. Laut Studien werden 25 Prozent der produzierten Ware niemals verkauft, und von den verkauften werden nochmals 25 Prozent niemals getragen. Jährlich entstehen so 100 Millionen Tonnen Mode-Müll. Lasst euch kurz Zeit, um diese Zahl zu fassen. Als ich dies zum ersten Mal gehört habe, standen mir die Haare zu Berge! Das Schlimmste: Anstatt etwas zu ändern, wird einfach munter weiterproduziert. Die Mode-Branche ist ein verdammt undankbares Volk – nicht nur auf die Umwelt bezogen.
F: Was ist das Beste am Leben als Designer? Was das Schwierigste?
EC: Darauf kenne ich keine Antwort, da ich mich selbst nicht als Designerin bezeichne – das wäre mir zu eintönig und langweilig. Ich bin Creative Director, ich liebe mein Leben, und über Schwierigkeiten nachzudenken oder mir darüber Gedanken zu machen, dafür fehlt mir schlichtweg die Zeit. Darin Zeit zu
investieren, wäre dumm. Ich bin lösungsorientiert, und besteht ein Problem, so wird es gelöst und zwar sofort.
F: Wie beschreibst du die Modebranche in drei Wörtern?
EC: Aufregend, schnell, gnadenlos.
F: Als Designer will man sich verwirklichen, andererseits zählt aber auch der Ab- und Umsatz. Kümmert es dich, was der Konsument sehen will, und machst du dir Gedanken um aktuelle Trends?
EC: Naja, der Job eines Designers ist es, Trends zu setzen und nicht hinter Trends herzurennen. Aber es kümmert mich sehr wohl, wie ich ein Kleidungsstück vermarkten kann, damit es eben zu dem Teil wird, das der Konsument sehen möchte. Ich möchte das Haben-Wollen-Gefühl des Konsumenten wecken, das ist für mich spannend.
F: Wie entstehen die Namen deiner Kollektionen?
EC: Auf meiner Website sind alle meine bisherigen Kollektionen aufgeführt. Angefangen hat es 2016 mit dem Thema „Hero“, gefolgt von „Home Far Away From Home“, danach kam „Legends“. Ich nehme immer wieder ein Stück meines Lebens auf und verarbeite es in meinen Kollektionen. Mein Label ist mein Tagebuch.
F: Was tust du, wenn du uninspiriert bist?
EC: Ich kenne diesen Zustand nicht.
F: Siehst du die Digitalisierung für dich als Designerin als Chance oder eher als Bedrohung?
EC: Selbstverständlich als eine Riesen-Chance! Als Schweizer Brand und in nur drei Jahren wäre ich ohne die Digitalisierung nicht da, wo ich heute bin. Die Schweiz ist schließlich nicht gerade dafür bekannt, eine Mode-Industrie zu haben. Digitalisierung ist wichtig, kann ich so doch an zehn Orten gleichzeitig sein.
F: Was motiviert dich jede Saison aufs Neue?
EC: Mein Ehrgeiz. Für mich ist es ja zudem anders als für Außenstehende, die nur die verschiedenen Saisons sehen. Wenn du wie ich von A bis Z alles alleine machst, ist alles ein nahtloser Übergang. Nehmen wir September/Oktober: Da war ich mit der Produktion der Bestellungen für den Sommer 2020 beschäftigt, gleichzeitig habe ich die neue Herbstkollektion 2020/2021 entworfen, davon Samples hergestellt und auch noch die Vermarktung der Sommerkollektion 2020 angetrieben. Gleichzeitig habe ich meinen Online-Shop lanciert und die Shootings der neuen Kollektionen organisiert.
F: Worin siehst du die Aufgabe als Designer?
EC: Meine Aufgabe ist es, eine Frau, schöner, mysteriöser, cooler und anziehender zu machen, als sie sowieso bereits ist.
F: Worauf achtest du, wenn du Kleidung für dich persönlich kaufst? Welche Labels und Grundsätze sind dabei für dich wichtig?
EC: Ich kaufe kaum mehr Kleidung, sondern lasse mir inzwischen alles auf Maß in meinen Ateliers anfertigen. Zudem investiere ich mein ganzes Geld in mein Label. Aber wenn ich doch mal etwas kaufe, bin ich nicht auf Labels fixiert, es muss mir einfach gefallen, und die Qualität ist das A und O – das war bei mir schon immer so. Ich möchte nicht in meiner Kleidung schwitzen, weil diese aus billigem Polyester hergestellt wurde, und ich will auch keine Kleidungsstücke auf meiner Haut, für die ein anderer Mensch leiden musste. Weil er oder sie zu unmöglichen Arbeitsbedingungen arbeiten muss und vermutlich nicht mal dann die Familie damit ernähren kann, nur damit ich dem neusten Trend nach rennen kann. Das ist für mich ein No-Go!
F: Welches Teil hängt am längsten in deinem Kleiderschrank?
EC: Da gibt es einige, die schon seit Jahrzenten darin hängen. Das älteste ist eine bestickte Chloé-Bluse, die ich mit 17 Jahren in Paris bei einem Sample-Verkauf gekauft habe. Das Teil ist jetzt 24 Jahre alt.
F: Was ist ein modisches No-Go, über das du nicht hinweg blicken kannst?
EC: Ich bin da sehr tolerant. Jedem das Seine, es muss mir ja nicht alles gefallen.
F: Was gönnst du dir nach einem langen Arbeitstag?
EC: Ich habe keine täglichen Rituale, ich bin ja nicht mal länger als ein paar Tage an einem Ort. (lacht) Ich mache aber zum Beispiel täglich Sport – das kann um fünf Uhr früh sein, um ein Uhr nachmittags oder um Mitternacht. Immer dann, wenn es eben in den Terminkalender passt. Ich bin sehr diszipliniert, ich lass nie etwas aus. Jeden Tag presse ich das Beste aus den 24 Stunden raus.
F: Worüber solltest du dir weniger Sorgen machen?
EC: Ich mache mir keine Sorgen.
F: Dein liebster Ort in Zürich und deine liebste Boutique?
EC: Ich liebe Zürich, aber besonders den Kreis 1. Meine Lieblingsboutique ist Tasoni und das nicht nur, weil ich mit der Inhaberin befreundet bin. Die Brands, die sie vertreten, finde ich wahnsinnig spannend, und die Auswahl der Einkäufer ist schlichtweg cool und durchdacht. Zudem veranstalten sie keine Sales, was ich begrüße. Ich kann nur sagen: Hut ab! Das ist heutzutage eine bewundernswerte Einstellung einer Boutique. Viele Retailer haben immer noch nicht verstanden, dass sie sich selbst schaden, wenn sie die Ware bereits mit 30 Prozent Nachlass anbieten, bevor die Winter- oder Sommer-Saison überhaupt begonnen hat. Sogar meine sehr wohlhabenden Freunde warten dann lieber ein paar Tage länger und kaufen ihre Kleidung reduziert: Weshalb soll ich einen Wintermantel im Oktober zum vollen Preis kaufen, wenn ich ihn erst im Dezember brauche und dann sogar noch zum halben Preis bekomme?
F: Was fehlt dir an Zürich, wenn du verreist, und was vermisst du, wenn du zuhause bist?
EC: Ich habe solche Gefühle nicht. Ich versuche jeden Tag so zu leben als sei es mein letzter, also
genieße ich das, was jetzt gerade ist und trauere nicht anderem nach. Falls ich das Gefühl doch einmal haben sollte, muss ich etwas ändern.
F: Was begleitet dich immer bei deinen Reisen?
EC: Mein Pass und mein Smartphone. Ohne die zwei bin ich erledigt, auf alles andere kann ich verzichten.
F: Wie definierst du guten Stil? Und wie besonders schlechten?
EC: Als guten Stil bezeichne ich, wenn man sich Dinge kauft, die einem auch wirklich stehen und die eigenen Vorzüge betonen. Ganz schlecht finde ich es, wenn man etwas nur kauft, weil es gerade das Hype-Piece der Saison ist, es einem aber gar nicht steht. Ich will doch nicht ein Kompliment für ein Kleidungsstück bekommen, weil ich es trage, sondern ich möchte dafür bewundert werden, weil ich damit besser aussehe.
F: Wessen Stil bewunderst du?
EC: Eigentlich jede Frau, die sich mit ihrem Stil zu einer Marke katapultiert hat wie zum Beispiel Carine Roitfeld oder Tilda Swinton oder sogar Kim Kardashian. Ist es mein persönlicher Geschmack? Ganz bestimmt nicht, aber ich finde, es verdient meinen Respekt, dass jemand hinsteht und sagt, das bin ich, das will ich verkörpern.
F: Wann ist jemand für dich ein Vorbild?
EC: Ich habe persönlich keine Vorbilder, aber als Vorbild würde ich jemanden definieren, der 100 Prozent authentisch ist. Es war nie mein Ziel, ein Vorbild zu sein, mir ist nur wichtig, dass für mich stimmt, was ich tue. Viele Frauen und Männer schreiben mir, dass sie mich bewundern würden oder ich ihr Vorbild sei. Das ist ein wahnsinnig schönes Gefühl, und es ehrt mich selbstverständlich. Aber ich bin nicht so, wie ich bin, weil ich solche Dinge hören möchte, ich möchte einfach nur mit mir selbst glücklich sein. Und wenn ich mit mir nicht glücklich bin, dann wird etwas geändert. Dabei ist es mir egal, ob ich damit jemanden enttäusche. Ich lasse mir meine Freiheit nicht wegnehmen, nur um in irgendein Bild reinzupassen.
Ezgi Cinar
In Istanbul geboren, als Kind mit der Familie nach Libyen gezogen, später dann in die Schweiz. Ezgi Cinar will in die Mode-Branche, lernt Couture-Schneiderin, arbeitet
danach für Luxusbrands als Art Direktorin und Brandmanagerin, dann nur noch für sich selbst. Ihr Label hat oberste Priorität – dafür macht die 41-Jährige auch mal die eine oder andere Nacht durch. Cinar ist Creative Director, entwirft also nicht nur, sondern tut alles, um ihre Kreationen in die Schaufenster der Zürcher Bahnhofstraße und an die Körper ihrer Kundinnen zu bringen. Zu letzteren gehören übrigens nicht nur Schweizerinnen, sondern auch Madonna, Mary J. Blige oder Kate Hudson. Ezgi Cinar verkörpert als Person das, was ihre Kleidungsstücke ausdrücken: Stärke. Deshalb gehören wechselnde Haarfarben und 14-Zentimer-Heels genauso zu ihr wie Leder, Spitze und Stickereien an ihre Roben, für die sich das Schlachten des Sparschweins lohnt.