Nein, ein Calvin-Klein-Model sieht definitiv anders aus. Doch Segelohren und Wurstlippen waren höchstens zwei von vielen Gründen dafür, dass unser neuer Lieblings-Charakterkopf erst auf filmreifen Irrwegen in Hollywood ankam. Einer davon hätte fast in der Hölle des Irak-Kriegs geendet. Doch stattdessen musste er in der Frauen-Soap „Girls“ seinen Mann stehen…
Vielleicht hat ihm ein defektes Bremskabel das Leben gerettet. Wenige Wochen vor seiner Deportation in den Irak brettert Adam Driver, Mitglied des United States Marine Corps, auf dem Mountainbike einen Sandsteinhügel hinunter. Schnell, gefährlich, das ist seine Welt! Doch als er am Bremshebel zieht und sich nichts rührt, kriegt er doch kurz weiche Knie. Beim Sturz knackst das Brustbein und durchlöchert ihm um ein Haar das Soldatenherz, was ein ziemlich sicheres Todesurteil gewesen wäre, noch vor dem ersten Kriegseinsatz. Aber eben, nur beinahe. Im Kraftraum schuftet er wie ein Wahnsinniger fürs Comeback, verletzt sich dabei erneut. Sein Captain hat keine andere Wahl: Er hämmert einen dicken „Untauglich“-Stempel auf die Akte des Adam Driver. Und der hat wieder einmal keine Ahnung, was er mit sich und seinen schlaksigen 191 Zentimetern anfangen soll. Diese Frage stellen sich die meisten, die in Mishwaka/Indiana aufwachsen. Der baptistische Kirchenchor, in den ihn sein Stiefvater zwingt, erscheint Adam Driver eher weniger aussichtsreich. Er versucht sich im Basketball, hat dafür zwar die Körpergröße, dummerweise fehlt dem Lulatsch aber gänzlich das Talent zum neuen Michael Jordan. Also füllt er die Tage dessen, was er heute eine „verlorene Jugend“ nennt, mit infantilem Blödsinn, einem Drecksjob als Vertreter der Staubsauger-Firma Kirby und billigem Wein aus dem Tetrapack. Letzterer beflügelt immerhin die Träume, ohne die ein Teenager in dieser Einöde des Mittleren Westens wohl von der Eisenbahnbrücke springen würde. Adam Driver schickt sein Dossier an eine Theaterschule in New York. Zurück kommt eine Absage. Also in die andere Richtung, er packt sein Hab und Gut in den Kofferraum einer Rostlaube und tuckert los, Kalifornien entgegen, dem Staat der unbegrenzten Möglichkeiten. In Texas kollabiert das Auto. Driver keucht zehn Meilen zu Fuß durch die Wüste ins nächste Redneck- Kaff. Irgendwie schafft er es doch nach Santa Monica. Nach zwei Monaten ist das Konto leer und die Perspektive auf ein offenes Türchen im Showgeschäft gleich null. Tja, zurück auf Feld 1: Mishwaka/Indiana! Dann der große Knall: Zwei Flugzeuge krachen ins World Trade Center, die Welt ist nicht mehr dieselbe,Präsident Bush ruft zum Krieg gegen den Terror und die Jugend dazu auf, diesen mitzuführen. Adam Driver, damals 19-jährig, sieht in der Armee eine neue Lebensaufgabe. Zweieinhalb Jahre dient er den Marines, doch statt auf dem Schlachtfeld im Kampf gegen Saddam, endet die Militärkarriere mit erwähntem Unfall sowie der vorzeitigen Entlassung und der Konsequenz von erneuter Ratlosigkeit. Im Frust schreibt er abermals an die Juilliard School in New York. Diesmal mit Erfolg! 2009 hat Adam Driver sein Diplom im Sack. Weil die paar Rollen in Off-Broadway- Stücken aber noch kein Leben im Big Apple finanzieren, knipst er Bustickets und serviert Pizza bei einem Italiener. Bis eines Abends Screenwriter Tony Kushner an einem der Tische sitzt. Möglicherweise schlürft Kushner einen Rotwein zu viel, auf jeden Fall engagiert er den ungelenken Kellner mit den Negerlippen, den Dumbo-Ohren und dem Rüssel von einer Nase für eine Nebenrolle in „Lincoln“. Der Streifen erhält einen Oscar und Driver das Etikett als Hollywoods neues Wunderkind. Als solches gilt auch Lena Dunham: Regisseurin, Autorin und Co-Hauptdarstellerin der TV-Soap „Girls“ – eine Art „Sex & The City“ mit radikal reduziertem Kitsch- und Girlie-Quotient. Dunham möchte Driver im Cast, als ihren männlichen Counterpart, den gefühlskalten Trampel Adam Sackler. Fernsehen sei für Idioten, lehnt Driver ab, doch der Agent legt das Veto ein. Parallel dreht der Hüne das Low-Budget-Drama „Francis Ha“, auf dessen Set das Licht aus Kostengründen mit weißen T-Shirts geregelt wird. Beide Produktionen werden zu Kritiker- und Publikumsfavoriten – und irgendwie sieht die Damenwelt im kernigen Charakterkopf einen willkommenen Kontrast zu all den Waschbrettbauch- Milchbubis aus den Romantikkomödien und Unterwäschekatalogen. „Der mit den Ohren“ kann sich kaum retten vor Liebesbekenntnissen. Außer im Winter: „Dann erkennt mich kaum jemand“, erklärt er in einem Interview, „wenn ich die großen Lauscher unter einer Wollmütze warm halte.“ Erkannt haben sein Potential aber offenbar etwas verspätet auch die Gebrüder Coen. In ihrem cineastischen Essay über Leben und Leiden des (fiktiven) kettenrauchenden Sixties-Folksängers Llewyn Davis erscheint das Neo-Sex-Symbol ab Anfang Dezember auf den Leinwänden unserer Arthouse-Kinos. Noch davor, am 19. November, darf er 30 Kerzen auf seinem Geburtstagskuchen auspusten. Ein Alter, das irgendwie dazu einlädt, eine vorläufige Bilanz zu ziehen. Und die könnte etwa so lauten: Nach erheblichen Startschwierigkeiten die Kurve gekriegt und jetzt auf gutem Weg, die Mission zu erfüllen! Und wir sind verdammt froh, dass diese nicht in der Egalisierung der Al-Qaida besteht.