Es herrscht Krieg in Amerika, doch die Fronten verschwimmen… Weiss oder schwarz, Grossstädter oder Redneck, Richkid oder Ghettoboy. Einzelne sahnen ab, die meisten gehen unter. Prädikate wie zutätowiert, homosexuell und latino-stämmig bedeuten in der Regel letzteres. Ausser man verschreibt sich dem Kampf bis in die letzte Spitze seiner Rastazöpfe. So wie die Rapperin Young M.A.
Die USA 2017 – zerfurcht wie Hiroshima nach dem Abwurf der Atombombe. Die sozialen Gräben im Land of the Free verlaufen weder zwischen Generationen noch Religionen noch entlang der Mauer zu Mexiko, sondern in alle möglichen Richtungen. Die Sieger von gestern sind die Loser von heute, und wer gestern schon verloren hat, watet morgen im Abschaum. Den Durchblick hat niemand – aber die richtigen Reime, um den Geist dieser konfusen Zeit genau zwischen die Augen zu treffen: Young M.A, geographisch kommt sie aus Brooklyn, demographisch betrachtet von unten. Daher, wo sich vor verlotterten Fassaden die Probleme türmen wie die Säcke in den überfüllten Mülltonnen. Sie erfüllt sämtliche Kriterien, um durch die sozialen Maschen zu fallen: jamaikanisch-puertoricanisches Blut, homosexuell, arm, weiblich… Ein Blitzableiter der gesellschaftlichen Spannungen. Und diese entladen sich nun in den Tracks der Rapperin, die keine Anstalten macht, das Arschtwerker-Klischee einer Nicky Minaj zu erfüllen: Jedes Wort brennt lichterloh, wenn Young M.A total ironiefrei über Guns und Dollars, Niggas und Gangfights referiert. In einer Dringlichkeit, die zuletzt allenfalls ein grünschnäbliger Eminem erreichte. Doch hier reisst ein kaum 25-jähriges Küken den Schnabel auf, dessen Bruder in einer Schiesserei das junge Leben liess, als die jüngere Schwester ein paar Blöcke weiter den Kindergarten besuchte. Edelpimps in Luxusschlitten verkehren anderswo. Hier brodelt es unter dem regennassen Asphalt; Ferguson und der Aufstand der Verwahrlosten liegen gleich um die Ecke. Ihre pointierte Gesellschaftskritik formuliert Young M.A derart zugespitzt, dass jede Zeile reinhaut wie die Faust eines kampferprobten Türstehers. Auch ohne Intellekto-Metaphern fürs Feuilleton. Karg, hart und dunkel wie ihre Jugend geraten auch die Arrangements, mit denen die dennoch von Kritikern hochgehandelte Newcomerin ihre Vorträge unterlegt. Musikalisch liegen die Einflüsse ungefähr um ihr Geburtsjahr herum. 1992, Gangsta-Hochblüte mit Nas, 2Pac, Notorious B.I.G… Dekaden entfernt scheinen Crossover-Experimente, R’n’B-Hymnen oder die Genrespielereien eines Kendrick Lamar. Das eindrückliche Mixtape „Sleep Walkin’“ und die Single „Oooouuu“ breiten sich viral in den Netzwerken aus, auf beiden Seiten des Atlantiks, und kürzlich setzte Young M.A ihre Unterschrift unter einen Vertrag mit Branchenprimus Universal. Lässt sich die kampflustige Ghettoamazone nun vom Mainstream zähmen? Kaum, denn sie dürfte ahnen, dass es mit dem Hype-Stempel ein wenig so ist wie mit Ladyboys und hochprozentigem Alkohol: Für eine Weile kannst du dich damit easy vergnügen. Doch passt du nicht auf, tut dir am nächsten Morgen böse der Hintern weh.