Woody Allen und Wes Anderson, Vogue und Miu Miu – das Objekt der kollektiven Begierde von Kultregisseuren, Fashion- und PR-Fritzen hat derzeit nur einen Namen: Léa Seydoux. Das Gleichnis des hässlichen Entleins gelangt einmal mehr zu einem Happy End. Oder so was in der Art.
Die hysterie um die aschblonde Französin erinnert gerade ans Hochgehen der Tischbombe an einem Kindergeburtstag. Blogger, Kritiker und Koryphäen vom Kaliber eines Tarantinos haben längst Lunte gerochen. Jurypräsident Steven Spielberg verleiht Léa Seydoux die Goldene Palme von Cannes. Die Vogue Paris lichtet Modestrecken mit ihr ab, für Prada realisiert sie eine Parfumkampagne unter Regie von Wes Anderson. Mit dessen „Grand Hotel Budapest“, dem tiefsinnigen Indie-Liebesdrama „Grand Central“, „Saint Laurent“ und zuletzt „Die Schöne & das Biest“ ist sie gerade vierfach im Kinoprogramm vertreten. Fast im Alleingang bewahrt sie mit einer schauspielerischen Glanzleistung die Horrorthriller-Interpretation des Volksmärchens vor der Lächerlichkeit. Was Léa Seydoux so erklärt: „Belle erinnert mich sehr an das Kind, das ich selbst einmal war.“ Eines also, das sich in einem surrealen Umfeld wiederfindet, in ihrem Fall das glatt gebohnerte Parkett der Schönen und schön Reichen. Im Pariser Elternhaus gucken Mick Jagger oder Christian Louboutin so zwischendurch auf einen Pastis vorbei. Léa Seydoux wird quasi hineingeboren ins Luftschloss der frankophilen Entertainment-Branche. Der Großvater sitzt in der Teppichetage des Medienkonzerns Pathé (welcher nebenbei auch „Die Schöne & das Biest“ produzierte). Der Großonkel schmeißt den Fußballclub OSC Lille, Daddy die Geschäfte eines Telekom-Giganten. Die Mutter hat Schauspielambitionen und eine eigene Boutique für afrikanische Kunst, spannt die Tochter einmal kurzerhand als Model für eine Schmuckkollektion ein. Bloß, im goldenen Glamournest ist Léa Seydoux das Kuckucksei. Im Schatten, den die frühe Trennung der Eltern auf ihre Kindheit wirft, vegetiert sie bis tief ins Teenie-Alter dahin – als grenzdepressive Brillenschlange mit Kurzhaarschnitt. Sie hat kaum Freunde, redet wenig, verschlingt dafür ein Buch ums andere und verkriecht sich in deren fiktive Parallelwelten. In dieser selbst gewählten Abgeschiedenheit keimt ein verschrobener Berufswunsch: Die Prinzessin auf der Erbse möchte Opernsängerin werden. Tatsächlich beginnt sie die Ausbildung, driftet aber mittendrin zum Schauspielunterricht ab, um ihrem damaligen Schwarm zu imponieren. Dieser Plan geht schief, dafür öffnet sich anderswo ein Türchen: American Apparel holt das optisch aufgeblühte Mauerblümchen an Bord für ein skandalös freizügiges Shooting. Und ja, Sex sells, die Plakate sorgen für Aufwind in der Karriere. Drehbücher und Angebote flattern ins Haus, sie kriegt den Newcomer-Award von Cannes, eine Nebenrolle in Tarantinos „Inglorious Basterds“ (2009), diejenige der Isabella in Ridley Scotts „Robin Hood“ (2010). Der Bogenschützen-Blockbuster trifft ins Herz der Modebranche, die wichtigen Fashionmagazine hieven sie ins Blatt, abgelichtet von Starfotografen. Voilà, von der Außenseiterin zur Stilikone! Wer die Erfolgsgeschichte analysiert, stößt bald einmal auf jenen Charakterzug, der Léa Seydoux von den so zahl- wie gesichtslosen Hochglanz-Barbies im schnelllebigen Geschäft der People-Postillen abhebt: Die melodramatische Aura des verschupften Scheidungskinds, welche die 28-Jährige bis heute ausstrahlt. Und bis heute drückt die sensible Diva manchmal der Schuh. So passiert am Filmfestival von Cannes 2009: Showbiz-Overkill, Kollaps, Heimweh nach Frankreich. Letzteres möglicherweise noch verstärkt durch ein Engagement kurz davor – jenem in Woody Allens „Midnight in Paris“ (2011). Seydoux flüchtet, kehrt zwischenzeitlich aus New York nach Europa zurück – und zu Autorenfilmen, so wie dem Kritikerfavorit „Sister“ (2012) der Franko-Schweizerin Ursula Meier. Allmählich gelingt die Rehabilitation, das Aschenputtel aus dem sechsten Arrondissement nähert sich behutsam aber beharrlich wieder dem Rampenlicht, tanzt wieder auf den ganz großen Hochzeiten. Wo sie mit offenen Armen empfangen wird, the show must go on! Doch angesichts des momentanen Hypes würde es vielleicht doch zur psychischen Stabilität beitragen, wenn so langsam mal der Prinz auf seinem scheiß Gaul um die Ecke käme.