Einmal tief durchatmen, den Körper in den herabschauenden Hund schieben, und die Welt sieht direkt viel besser aus: Yoga verspricht uns Entspannung, körperliche Fitness und Gelassenheit. Mit Millionen Anhängern hat die ursprünglich religiöse Praxis es so mittlerweile zum regelrechten Lifestyle geschafft. Auf Instagram posieren Stars und InfluencerInnen in den aufregendsten Posen und werben für Yoga-Matten, Yoga-Shirts und Yoga-Klötze. Selbst in der Medizin ist die Bewegungspraxis bereits angekommen. Aber was steckt wirklich hinter dem Yoga-Zeitgeist?
Ein Termin folgt auf den anderen, die To-Dos im Haushalt stapeln sich, und in den Nachrichten kommt wieder Mal nur Mord und Totschlag. Viele Menschen sehnen sich angesichts ihres stressigen Alltags nach einem Ausgleich. Nach etwas, das sie ihre Sorgen für einen kleinen Moment vergessen lässt. Etwa neun Prozent der Frauen und ein Prozent der Männer fangen deshalb mit Yoga an. Eine von ihnen ist Ann-Christin Giese-Kessler. Vor sechs Jahren geht es in ihrem Leben drunter und drüber, der Stresspegel steigt und damit auch die Unzufriedenheit. Zuerst versucht sie, im Sport einen Ausgleich zu finden – doch das reicht der 31-Jährigen nicht. „Über eine Freundin bin ich dann in meine erste Yoga-Stunde gekommen – und am Ende fast aus dem Studio geschwebt“, erzählt die Physiotherapeutin. Weil sie vom ersten Moment an die positiven Auswirkungen von Yoga am eigenen Körper gespürt hat, habe sie sich dann für eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin entschieden. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Möglichkeiten. In Deutschland bieten etwa die verschiedenen Yoga-Berufsverbände eine entsprechende Ausbildung an, es ist aber auch möglich, das Ganze bei einem Yoga-Studio zu machen, das von der US-Yoga-Alliance dafür ausgezeichnet ist. Die Grundausbildung besteht aus 200 Stunden und kostet je nach Anbieter zwischen 1’500 und 3’000 Euro. Darauf basierend können Yoga-Lehrer weiterer 300 Stunden lernen, um ihre Praxis zu vertiefen und sich einem Berufsverband anschließen zu dürfen. Die komplette 500-Stunden-Ausbildung kostet durchschnittlich 6’000 Euro in Deutschland.
Zwischen Power-Yoga, Bier-Yoga und Yoga zum Einschlafen
Ann-Christin Giese-Kessler hat erstmal die Grundausbildung gemacht. Heute bietet sie digital unter gluecks-gedoens.de und im eigenen Studio in Köln Yoga-Stunden an. Als Yoga-Lehrerin ist sie nun ein Teil der Milliarden-Industrie hinter dem gelassenen Lebensgefühl, das die Marketing-Strategie hinter Yoga uns verspricht. Schätzungen zufolge hat das weltweite Yoga-Geschäft bereits im Jahr 2016 einen Jahresumsatz von rund 80 Milliarden US-Dollar erzielt – Tendenz steigend. In der Studie „Global Yoga Apparel Market 2019-2023“ heißt es, der Yoga-Markt wachse noch bis 2023 jedes Jahr um etwa sechs Prozent. Das schlägt sich auch in den Kosten der Produkte nieder, die zum Yoga-Boom gehören. Für Yoga-Klötze, -Matten und -Kleidung zahlen Verbraucher gerne mal dreistellige Beträge. Eine Yoga-Stunde kostet zwischen zehn und 20 Euro, eine Mitgliedschaft im Studio durchschnittlich 60 Euro im Monat. Dabei gibt es heutzutage nahezu für jede Zielgruppe die richtige Yoga-Praxis. Interessierte haben die Qual der Wahl zwischen Bier-Yoga, Nackt-Yoga, Yoga zum Entspannen, Yoga für Schwangere, Power-Yoga, Einschlaf-Yoga, und, und, und. Schätzungen zufolge praktizieren weltweit rund 300 Millionen Menschen irgendeine Form von Yoga – darunter zehnmal so viele Frauen wie Männer. Den meisten Yoga-Fans geht es dabei um mehr Beweglichkeit und Entspannung. Dass Yoga aber auf einer jahrhundertealten Geschichte basiert, das wissen viele Praktizierende in westlichen Ländern nicht.
Die Geschichte des Yoga
Zugegeben, die Ursprünge der heutigen westlichen Yoga-Praxis zu durchblicken, ist gar nicht so einfach. Tatsache ist, dass das traditionelle Yoga aus der religiösen Praxis des Hinduismus entstanden ist. „Die Grundlage der Religion bilden die Vedischen Schriften, die nach traditionellem Verständnis vor circa 5’000 Jahren niedergeschrieben wurden. Darin ist durchweg von Yoga-Praktiken die Rede“, sagt Erlend Pettersson, Gründer des „Hindu Forums Germany“. Der Rentner ist seit Jahrzehnten Hinduist und hat sich intensiv mit der religiösen Bedeutung von Yoga auseinandergesetzt. Er erklärt: Der Sanskrit-Begriff „Yoga“ bedeutet wörtlich übersetzt „zusammenbinden“ – es geht dabei also um mehr als nur eine Sportart. Das ursprüngliche Ziel von Yoga sei es, Geist und Körper zu einer Einheit zu verbinden. Die Tatsache, dass die Griechen schon im Jahr 300 v. Chr. von indischen „Philosophen, die Gymnastik betrieben“ – den Yogis – berichteten, lässt für Pettersson nur eine Schlussfolgerung zu: „Yoga ist wahnsinnig alt.“ Genau genommen gehen Historiker heute davon aus, dass die ersten Yoga-Übungen bereits im Jahr 4’500 v. Chr. in Indien praktiziert wurden.
„Wer atmen kann, kann auch Yoga praktizieren.“
Volker Köpcke verbindet als Vorstandsvorsitzender des deutschen Vereins für Buddhismus und Yoga beide Bereiche in seiner täglichen Arbeit miteinander. Der Experte erkennt ebenfalls deutliche Parallelen zwischen Yoga und seiner Religion: „Wenn man genau hinschaut, findet man dazu auch viele Andeutungen in den traditionellen buddhistischen Texten.“ Darin tauche etwa der Begriff „kumbhaka“ häufig auf. Im traditionellen Yoga beschreibt das Wort „kumbhaka“ die spezielle Atemtechnik des Anhaltens im Kundalini- und Hatha Yoga, die auch in anderen religiösen Systemen Indiens bekannt ist.
Wie aus der einstigen spirituellen Praxis aus Indien aber eine regelrechte Welt-Bewegung werden konnte, darüber gibt es verschiedene Theorien. Buddhist Köpcke erklärt die Entwicklung wie folgt: „Als ‚Vater‘ des modernen Yoga wird Sri T. Krishnamacharya angesehen. Geboren im Jahr 1888 studierte er die klassischen Formen des indischen Yogas sowie die Praxis des Hatha-Yogas bei dem legendären Sri Ramamohana Brahmachari in Tibet.“ Seine Erfahrungen soll er dann mit nach Europa und in die USA gebracht haben, wo sie von Buddhisten an die westliche Lebenswelt angepasst wurden.
Voller Körpereinsatz
Eine andere Erzählung sieht die Ursprünge des Yogas, wie wir es heute kennen, allerdings in der britischen Kolonialzeit. Demnach sollen die Briten im 19. Jahrhundert die indischen Asanas – also die Körperübungen – in Kombination mit Gymnastik in ihren Fitnessplan integriert haben. Für diese Variante spricht zum Beispiel, dass die meisten Menschen im Westen heute eine sehr körperbetonte Yoga-Praxis pflegen. In den traditionellen Schriften gibt es insgesamt 84 Körperstellungen, die heute je nach Region und Ziel unterschiedlich ausgeübt werden. Zu den bekanntesten Asanas im Westen gehören der Sonnengruß, der herabschauende Hund, die Haltung des Kindes und der Krieger. Aber Yoga bedeutet nicht gleich Yoga.
„Es gibt etliche Formen von Yoga“, sagt Yoga-Lehrerin Ann-Christin Giese-Kessler. Yin-Yoga zum Beispiel sei eine sehr ruhige Praxis, bei der man bis zu fünf Minuten in einer Körperhaltung verweilt. „Man dehnt dabei die Faszien und fordert vor allem den Kopf heraus, solange ruhig zu bleiben“, erklärt die Kölnerin. Vinyasa-Yoga hingegen sei sehr fließend und aktiv und könne schon mal schweißtreibend sein. Hatha-Yoga sei geprägt vom Wechsel aus Spannung und Entspannung. Das seien aber nur ein paar wenige Beispiele der zahlreichen Namen und Arten, wie Yoga heute ausgelebt wird.
Mit der ursprünglichen Praxis hat das Ganze oft nur noch wenig zu tun. „Das Yoga-System, das heute in vielen Studios angeboten wird, lehnt sich an den klassischen Dhyana-Yoga an“, sagt Hinduist Erlend Pettersson. „Mit dem Fokus auf Bewegung und Atmung, wie es die meisten Menschen heute praktizieren, erreichen sie aber kaum die Transzendenz, die frühere Yogis erreicht haben.“ Dabei sei es die Transzendenz, um die es ursprünglich beim Yoga ging. „Die klassische Bedeutung von Yoga ist die Verbindung des Menschen mit dem Göttlichen“, erklärt Pettersson. Das Ziel der Yoga-Meditation sei es, durch Bewegung, Atemübungen und bestimmte regulierende Verhaltensweisen den Geist in eine kontrollierbare Situation zu bringen.
Die buddhistische Yoga-Bibel
Für viele Hinduisten und Buddhisten ist Yoga auch heute noch mehr als ein Ausgleich zum Alltag – es ist ihre Art zu Leben. Die spirituellen Yogis dieser Welt haben sogar eine eigene Bibel. Das „Yogasutra“ stammt aus der Zeit zwischen 400 v. Chr. und 200 n. Chr. und beschreibt alle wesentlichen Inhalte der religiösen Yoga Praxis:
1. Yama (Moral, Ethik) umfasst Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Keuschheit und Zügelung der Begierde
2. Niyama (Selbstdisziplin) umfasst Reinheit, Zufriedenheit, Selbststudium und Disziplin
3. Ishvarapranidhana (Hingabe) umfasst die Verehrung des Göttlichen in jeder Form
4. Asana (körperliche Disziplin) umfasst die körperlichen Übungen
5. Pranayama (Kontrolle des Atems)
6. Pratyahara (Rückziehen und Beherrschung der Sinne)
7. Dharana (Konzentration)
8. Dhyana (Meditation)
9. Samadhi (Versenkung, Verwirklichung des höheren Selbst)
Aber beim Yoga ist es wie mit allen anderen Religionen auch: Abgesehen vom religiösen Kontext wird die Bibel heutzutage kaum noch genutzt. Im Yoga-Studio geht es vor allem um Bewegung, Atmung und Entspannung. Zur Erleuchtung kommt man so vielleicht nicht unbedingt, aber InfluencerInnen, Yoga-LehrerInnen und MedizinerInnen schwören auf die positiven Auswirkungen von regelmäßigen Asanas und Meditation. Auch Buddhist Volker Köpcke kann dem westlichen Yoga-Lifestyle fernab der Religion etwas Gutes abgewinnen: „Ich persönlich sehe es als positiv an, da sich viele Menschen mit Yoga beschäftigen, um ihre körperliche und geistige Gesundheit zu verbessern und ein harmonischeres und friedlicheres Leben zu führen.“
„Yoga hat mein Leben verändert.“
Auch die Wissenschaft ist sich mittlerweile weitestgehend einig, dass Yoga sich durchaus positiv auf unser Wohlbefinden auswirken kann. So konnten Studien belegen, dass Yoga gelassener, entspannter, gesünder, kreativer und selbstbewusster macht. Eine gemeinsame Studie der Erasmus-Universität Rotterdam und der Harvard Medical School in Boston konnte sogar zeigen, dass Yoga die Herzgesundheit steigern kann. „Bestimmte Formen der Meditation sind zudem hilfreich für das Blutdruckmanagement, außerdem wird dadurch das Risiko für einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall signifikant gesenkt“, weiß auch der österreichische Ayurveda-Mediziner Rainer Picha. Der einstige Kardiologe und Internist nutzt heute Yoga, Meditation und Ayurveda, um seinen Patienten zu helfen. Er ist überzeugt, dass die meisten Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch eine falsche Lebensführung entstehen. „80 Prozent der Herzinfarkte könnte man verhindern.“ Deshalb nimmt sich Picha im Jahr 1996 nach jahrelanger Tätigkeit als Schulmediziner eine Auszeit – und beschäftigt sich intensiv mit Präventionsmöglichkeiten und alternativer Medizin. „Nach mehreren Zwischenstationen unterrichte ich heute unter anderen in Graz integrative Medizin an der Universität und habe eine eigene Praxis für Ayurveda-Medizin,“ sagt Picha. Nicht nur er selbst ist vom medizinischen Nutzen von Yoga und Mediation überzeugt, auch seine PatientInnen sind immer offener für die alternativen Präventionsmethoden: „Vor 30 Jahren war die komplette Ayurveda-Medizin noch nicht wirklich anerkannt. Wer damals als Arzt erzählt hat, dass er meditiert, der wurde nicht ernst genommen“, erzählt der Mediziner, „Heute ist das ganz anders: Der Bereich ist mittlerweile gut erforscht und wird bereits in der Schulmedizin angewandt, um einen ganzheitlichen Heilungsansatz zu verfolgen. Wer heute als Arzt sagt, dass er meditiert, wird oft als sehr achtsam und bewusst wahrgenommen.“
„Bei Yoga und Meditation ist es wie mit allen anderen Dingen im Leben: Die Menge macht das Gift.“
Auch Yoga-Lehrerin Giese-Kessler ist überzeugt von den positiven Auswirkungen ihres Lieblingssports: „Yoga hat mein Leben verändert.“ So sei sie etwa viel gelassener geworden. „Dinge, die mich vorher gestresst haben, sind jetzt kein Problem mehr. Ich habe außerdem viel mehr Freude im Alltag, bin achtsamer und dankbarer geworden und habe feste Routinen in mein Leben integriert. Ich meditiere regelmäßig und praktiziere Yoga nur für mich. Dadurch habe ich auch eine sehr intensive Verbindung zu mir selbst aufgebaut. Ich schaue immer, was ich gerade brauche und was meine Bedürfnisse sind.“
Internist Picha hingegen setzt beim Yoga vor allem auf die vielfältigen gesundheitlichen Vorteile: „Yoga kann die Körperhaltung verbessern und für mehr geistige und psychische Stabilität sorgen, abgesehen davon werden die kognitiven Fähigkeiten gefördert.“ Physiotherapeutin Giese-Kessler ergänzt: „Körperlich betrachtet kräftigst du deine Muskulatur, du dehnst dich, mobilisierst Gelenke und deinen ganzen Körper. Man entwickelt eine gewisse Gelassenheit und reduziert auf jeden Fall auch Stress.“ Und damit schlägt die Yoga-Lehrerin exakt die Werbetrommel, die auch zahlreiche InfluencerInnen und Prominente nur zu gerne aktivieren. Denn wer Yoga praktiziert, der ist hip.
Risiken und Nebenwirkungen einer falschen Yoga-Praxis
Dabei ist der Trendsport gar nicht so ungefährlich, wie er auf den ersten Blick wirkt. Der bekannte US-Wirtschaftsjournalist William J. Broad war einer der ersten, der auf die Risiken der Yoga-Praxis hinwies. Im Jahr 2012 veröffentlichte er sein Buch „Yoga. Was es verspricht – und was es kann“. Broad, der selbst gerne Asanas ausprobierte, schreibt darin über die Krankengeschichten von Praktizierenden. Es geht um Rückenprobleme und Hirnschläge. Die Ursache: Die umstrittenen Yoga-Stellungen Kopf- und Schulterstand. In Indien werden sie zwar heute noch bedenkenlos ausgeübt – als mutmaßliches Heilmittel gegen Schilddrüsenerkrankungen, Depressionen und Verstopfung. Aber im Westen sind die beiden Asanas seither kaum noch zu finden.
„Wenn ich ungeübt in den Kopfstand gehe, dann ist natürlich eine Verletzungsgefahr da“, sagt auch Yoga-Lehrerin Giese-Kessler. Sie ist sich aber sicher: „Wenn man wirklich achtsam da rangeht und auf den Körper hört, dann ist Yoga wirklich ein risikoarmer Sport.“ Ähnlich sieht das auch Ayurveda-Mediziner Rainer Picha: „Auch bei Yoga und Meditation ist es, wie mit allen anderen Dingen im Leben: Die Menge macht das Gift.“ Sein Rat: Nicht einfach unreflektiert irgendwas aus dem Internet nachahmen, sondern sich eine Fachperson an die Seite zu holen.
Yoga zwischen Sexismus und Sektenkult
Die körperlichen Risiken der Asanas sind allerdings nicht das einzige Problem des Zeitgeistes. Yoga hat seit Jahren auch ein Image-Problem, das nur schwer von der Hand zu weisen ist. Denn die Geschichte der berühmtesten Yoga-Gurus in der westlichen Welt ist eng mit Sexismus, sexueller Belästigung und einem regelrechten Sektenkult verknüpft. Ein gutes Beispiel dafür ist etwa die Geschichte des bekannten Yoga-Gurus Yogi Bhajan. Er brachte Kundalini-Yoga, eine Yoga-Richtung, die den Fokus auf die geistigen und spirituellen Aspekte der Praxis legt, in den Westen. Seine langjährige Sekretärin veröffentlicht im Jahr 2020 ein Buch, in dem sie von 20 Jahren voller sexuellem und emotionalen Missbrauch durch den spirituellen Anführer berichtet.
Leider ist Yogi Bhajan mit diesem Vorgehen lange kein Einzeltäter mehr in der Yoga-Szene. Auch über Bikram Choudhury, Erfinder des Bikram-Yogas, gibt es ähnliche Geschichten. Der Hype in den USA um die Yoga-Methode machte den Inder zum Multimillionär – der seinen Schülerinnen den Erzählungen nach gerne näher kam, als denen lieb war. Mittlerweile wird Bikram per Haftbefehl gesucht, weil er wegen sexueller Belästigung, sexuellen Übergriffen und Diskriminierung zu einer Millionen-Strafe verurteilt wurde.
Was beide Gurus mit zahlreichen ihrer Mitstreiter eint, ist die perfide Art und Weise, wie sie ihre Macht und ihr spirituelles Ansehen in der Yoga-Szene für niedere Bedürfnisse ausgenutzt haben. Denn wenn Yoga-Gurus übergriffig werden, dann wird das innerhalb ihrer Gemeinschaft gerne auch mal übersehen. Zu Anfang fühlen sich die betroffenen Frauen sogar manchmal geehrt, da sie den Guru als Art Gottheit ansehen. Insgesamt kursiert deshalb auch oft die Annahme, dass es sich beim Yoga um sektenartige Bräuche handele.
„Die spirituellen Yogis dieser Welt haben sogar eine eigene Bibel.“
„Natürlich gibt es auch kritische Bewegungen und Sekten, die die Praxis für ihre Zwecke nutzen“, sagt auch Yoga-Arzt Picha. Aber das sollte man nicht verallgemeinern. „Denn Yoga und Meditation sind wertvolle Möglichkeiten der Gesundheitsprävention, von denen wirklich jeder profitieren kann – und sollte.“ Trotzdem: Ein gewisses Potenzial für Sexismus und Unterdrückung wohnt der Yoga-Praxis eindeutig inne. Selbst, wenn dieser nicht von einem Guru ausgeht, kann der Fokus auf Yoga im Zweifel auch in Selbstoptimierung und einen ungesunden Wettbewerb mit der weltweiten Yoga-Community ausarten – frei nach dem Motto: Wer zuerst den perfekten Kopfstand beherrscht.
Politische Dimensionen des Zeitgeistes
Wer sich politisch interessiert, der sollte außerdem die politische Dimension des Lifestyles kennen. Dabei wiegt eine Geschichte deutlich schwerer als der gerne vorgebrachte Vorwurf der kulturellen Aneignung. Denn kaum ein Yogi weiß heute, dass in einer längst vergangenen Zeit auch viele Nazis zur Yoga-Community zählten. Yoga-Lehrer Mathias Tietke hat ein ganzes Buch mit dem Titel „Yogi Hitler“ darüber geschrieben. Demnach wurde Adolf Hitler in der Szene als geübter Praktiker gefeiert und hat die Werte gekonnt für die nationalsozialistische Ideologie genutzt. Zentrale Lehren des Yoga wurden dafür ausgeblendet, andere so umgedeutet, dass ein ganz eigenes „arisches Yoga“ entstand. Heute bleibt davon nur eine Warnung übrig. Und zwar davor, unreflektiert die Inhalte sogenannter Gurus aufzusaugen, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Wer sich daran hält, der kann in vielerlei Hinsicht von gelegentlichen Asanas und Meditationen profitieren. Der Trendsport ist laut Yoga-Lehrerin Ann-Christin Giese-Kessler sogar nahezu barrierefrei: „Irgendjemand hat mal zu mir gesagt: „Wer atmen kann, kann auch Yoga praktizieren“ – und genau so ist es auch. Du brauchst nur dich und bequeme Kleidung.“
Happy Yogi, happy life?
Bei dem Yoga, das heute in Fitnessstudios und in Videokursen praktiziert wird, steht die körperliche und geistige Gesundheit immer mehr im Mittelpunkt. Internist Rainer Picha sieht darin eine wunderbare Präventionsmaßnahme, die einen positiven Einfluss auf einen selbst und sein Umfeld habe. „Wir brauchen langfristig als Gesellschaft ohnehin einen ganzheitlichen Blick auf die Gesundheit, wenn wir unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps bewahren wollen. Dafür ist es notwendig, dass jeder Einzelne auf seine individuelle Gesundheit achtet.“ Das sei eine Sache, die leider viele Menschen falsch verstehen: Sie denken, solange sie gesund sind, brauchen sie nichts für ihre Gesundheit tun. „Dabei kann gerade Prävention unser Leben wirklich verlängern. Yoga, Meditation und Ayurveda-Medizin können dafür ein wichtiger Baustein sein.“
Yoga ist am Ende immer genau so gesund und hilfreich, wie es praktiziert wird. Wie bei allem im Leben gehört ein gesundes Maß an Achtsamkeit und Genügsamkeit dazu. Giese-Kessler rät Anfängern, sich unbedingt kompetente Hilfe zu suchen. „Manchmal merkt man selbst nicht, wenn eine Haltung falsch ausgeführt wird – und da hilft das Feedback vom Lehrer wirklich enorm. Außerdem sollte man sich vom Ego verabschieden: Die Asana sollte nicht perfekt aussehen, sondern soll sich vor allem gut anfühlen.“ Viele gingen aber mit einem falschen Ehrgeiz an die Sache heran und zwängten sich dadurch in unbequeme und teilweise ungesunde Haltungen hinein, die für ihren Körper gar nicht geeignet sind. Das Fazit der Yoga-Lehrerin: „Man sollte unbedingt auf seinen Körper hören.“