Anlässlich des Launches ihres neuen Eau de Nuits „Nocturnal“ hat Pauline Rochas, Enkelin der Parfüm-Ikone Hélène Rochas, den Wiener Retti Store mit einem Pop-up bespielt. Es ist der Duft jener Nächte, „von denen wir nicht wissen, wohin sie uns führen“, beschreibt Pauline ihre neueste Kreation im Interview. Wir haben sie in ihrem wunderschönen Altbau in Wien getroffen. Ein ehrliches Gespräch über den Reiz von Gegensätzen, das Finden der eigenen Stimme und die Bedeutung des „Echten“ in einer immer digitaleren Welt.


FACES: Pauline, wie würdest du dich selbst beschreiben?
Pauline Rochas: Ich lebe für die Dualität. Das gilt für meine Arbeit, aber auch für mein Privatleben. Und es ist auch das zentrale Thema meines neuesten Eau de Nuit „Nocturnal“. Ich bin fasziniert vom Kontrast zwischen Licht und Schatten. Ähnlich wie in der Schwarz- Weiß-Fotografie sind es auch bei Düften gerade diese Gegenpole, die Emotionen intensivieren. „Nocturnal“ ist für mich eine Ode an die duale Natur der Nacht – zwischen stiller Introspektion und pulsierender Energie. Und ich glaube, das spiegelt auch mich und meine Arbeitsweise wider: Ich fühle mich manchmal als Chamäleon, ich liebe Gegensätze, ich bin gerne für mich in der Natur und ebenso gerne in pulsierenden Städten unter FreundInnen. Ich trage die tiefe Heritage meiner Familie in mir (Anm. Pauline Rochas ist die Enkelin der einstigen französischen Parfüm-Ikone Hélène Rochas und des Couturiers Marcel Rochas) und bin doch „Rock’n’Roll“.
F: Du hast gerade deinen familiären Hintergrund angesprochen. Wann begann deine Faszination für die Welt der Düfte?
PR: Schon sehr früh. Dabei spielten beide meine Großmütter eine zentrale Rolle. Meine Großmutter väterlicherseits, Hélène, war eine Visionärin, mit ihr besuchte ich Ballett und Oper und durfte so sehr früh zentrale Personen der Kreativbranche kennenlernen. Das Haus meiner Großmutter mütterlicherseits, Denise Boyriven, lag an der französischen Riviera, wo ich viele Sommer verbracht habe. Der Mix aus Jasmin und Eukalyptusbäumen, der salzigen Meeresbrise und Mimosas wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Meine Kreation No. 6 „Genie in a Bottle“ ist ihr gewidmet. Und dann sind da natürlich noch die Einflüsse meiner Eltern: Mein Vater hatte ein Weingut in Bordeaux, wo ich ebenfalls viel Zeit verbracht habe. Ich habe es geliebt, im Wald zu spielen und Beeren zu pflücken. Später kamen dazu noch Reisen, auf denen mir wieder neue Duftnoten begegnet sind. Meine Kreationen heute sind das Ergebnis all dieser Begegnungen und Erinnerungen. Aber um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Meine Faszination begann schon sehr früh.
„Für mich war es wichtig, meinen eigenen Weg zu gehen, bewusst nicht auf meinen Namen reduziert zu werden.“
F: Wie ist es dir gelungen, die reiche Heritage deiner Familie weiterzutragen – und dennoch deine eigene Stimme zu finden?
PR: Mir war es schon immer wichtig, meiner Leidenschaft zu folgen. Und die führte mich zunächst auf einen anderen Weg: Auch hier war es wieder meine Großmutter Hélène, die mir meine erste Kamera schenkte. Ich habe meine Karriere zu Beginn in der Fotografie gestartet, erst in den letzten zehn Jahren bin ich als Parfümeurin gewissermaßen wieder zu meinen Wurzeln zurückgekehrt. Für mich war es wichtig, meinen eigenen Weg zu gehen, bewusst nicht auf meinen Namen reduziert zu werden. Ich wollte es selbst schaffen. Heute habe ich einen anderen Zugang: Ich bin sehr stolz auf die Heritage meiner Familie, auf meinen Namen – und meine Kreationen sind immer auch eine Art Hommage an die Generationen vor mir.
F: Wie beginnst du die Kreation eines neuen Parfüms?
PR: Das ist, ähnlich wie die Komposition von Musik, etwas sehr Intuitives. Oder wie Kochen. Ich habe ein Grundrezept im Kopf, ich weiß, welche Duftnoten ich verwenden möchte. Und dann geht es darum, dem Prozess Zeit zu geben, sich zur Gänze darauf einzulassen – und die perfekte Balance zu finden. Das hat bei Nocturnal ein Jahr gedauert.
F: Welche Essenzen sind bei „Nocturnal“ zentral?
PR: Ich habe hier unter anderem mit Leder gearbeitet, mit Vanille, Moschus, Ambermax, Georgywood, Safran, Tonkabohne und einem Frangipanier-Akkord. Dabei nehme ich mir den Luxus, ausschließlich hochwertigste Essenzen zu verwenden. Viele andere Brands definieren vorab den Preis eines Parfums und gehen danach an die Suche der einzelnen Noten. Bei mir gibt es so etwas nicht. Das ist der Unterschied zwischen „Luxury Niche“ und Massenbrands. Für mich geben die Düfte und damit auch Brands, die wir tragen, großen Aufschluss über die eigene Persönlichkeit. „Nocturnal“ ist für mich der Duft jener Nächte, bei denen wir im Vornherein nicht wissen, wohin sie uns tragen, bei denen wir nicht wissen, welche Menschen sie uns kennenlernen lassen und an welche Orte sie uns führen. Es ist der Duft von Freiheit, ein bisschen Studio 54, Leichtigkeit und der Mut, sich auf Unbekanntes einzulassen.
„In meinen Kreationen gibt es keine Gendergrenzen.“
F: Sind das Gefühle, die für dich in unserer aktuellen Welt noch ausreichend Platz haben?
PR: Ich glaube, am Ende liegt es an uns selbst, wie viel Raum wir diesen Gefühlen einräumen. Damit meine ich nicht, dass wir ignorieren sollen, was auf der Welt passiert. Aber manchmal reicht es schon, in unserem zu Hause die Musik laut aufzudrehen, um uns ein Stück dieser Freiheit zurückzugeben – und uns wieder stärker mit uns selbst zu verbinden.
F: Apropos Verbindung: Schon vor dem offiziellen Launch von „Nocturnal“ hast du den Duft im Rahmen eines Pop-ups im Wiener Retti Store vorgestellt. Warum war es dir wichtig, diesen physischen Begegnungsort zu schaffen?
PR: Für alle, die den Store nicht kennen: Das Geschäft wurde 1965 von Hans Hollein entworfen und ist mit seiner ikonischen Aluminiumfassade für mich ein Denkmal visionärer Gestaltungskraft. Hier trifft moderne Formensprache auf traditionsreiche Handwerkskunst. Ich liebe den Store und habe schon länger davon geträumt, mein Parfüm dort zu präsentieren. Dass es nun funktioniert hat, war vor allem das, was ich „pure divine timing“ nenne. Zudem war es mir aber auch wichtig, persönlich vor Ort zu sein und den Duft erklären zu können. Das war ehrlicherweise sehr zeitintensiv, ich war zehn Stunden täglich vor Ort. Aber ich bin überzeugt, dass es genau diese physischen Begegnungen sind, die wir heute mehr denn je brauchen.
F: Das ist ein schönes Stichwort. In einer Welt, die immer digitaler wird: Wie viel Raum bleibt da für etwas so Echtes, so Ursprüngliches wie einen Duft?
PR: In meiner Wahrnehmung sind wir als Gesellschaft, was die Digitalisierung betrifft, sogar schon etwas zu weit gegangen. Deshalb glaube ich sehr fest daran, dass es zu einer Rückbesinnung kommen wird, in der sich Menschen zunehmend nach „dem Echten“ sehnen. Danach, Dinge mit all ihren Sinnen wahrzunehmen, nicht nur über einen Bildschirm. Und wir können von der Welt der Düfte so vieles lernen: Es gibt keine festgelegten Regeln, kein Richtig und Falsch. Welcher Duft gefällt, ist ausnahmslos abhängig vom persönlichen Geschmack. Ich bin überzeugt, dass unsere Intuition, unser sechster Sinn und unsere Erinnerungen uns zu dem Duft führen, der für uns richtig ist. Das ist eine ganz besondere Form der nonverbalen Kommunikation, die alle Grenzen sprengt. In meinen Kreationen gibt es keine Gendergrenzen, ich kreiere nicht mit einer Zielkundin oder einem Zielkunden im Kopf. Ich möchte Menschen auf einer tieferen Ebene berühren. Und meine Parfüms sollen eine Form der Selbstermächtigung sein.


Pauline Rochas
Pauline Rochas arbeitete zunächst als Fotografin, bevor sie als Parfümeurin gewissermaßen zu ihren Wurzeln zurückkehrte. Sie ist bekannt für ihren innovativen Ansatz in der Duftkreation. Zentrales Thema ihres Schaffens ist jenes der Dualität. Pauline Rochas lebt und arbeitet in Wien.
paulinerochas.com
Die Duftwelt von Pauline Rochas kannst du hier erkunden.
Fotos: © Mato Johannik
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