Wie sie alle schreien und das Kraut verteufeln! Dabei ist es mitnichten die liebe Mary Jane, vor der man sich in Acht nehmen muss, sondern deren Schwestern, die einen um den Verstand bringen und direkt rein in die Klapse. Für Helge Timmerberg gibt es nur die eine – und dieser bleibt er seit Jahren treu.
Ein Kapitel aus dem neuen Buch „Joint Adventure“ von Helge Timmerberg.
Text: Helge Timmerberg Foto: picture alliance / Zoonar / Stanislav Rishnyak
Cannabis: das Märchen von der Einstiegsdroge
Ich hatte in Goa mit einer schönen Frau eine Palmenblatthütte am Strand bezogen, doch so paradiesisch die Aussicht war, so unerfüllt blieb mein Wunsch nach Intimitäten. Sie öffnete ihre Seele, vielleicht sogar ihr Herz für mich, nur ihre Beine nicht, und an einem Spätnachmittag kam jemand mit Opium daher. Für mich war es das erste Mal, und schon eine Stunde später schlief sie zwar immer noch nicht mit mir, sie dachte nicht einmal daran, aber ihr ging’s da wie jetzt auch mir. Keine Gier, kein Sehnen, kein Wunsch überlebte in der absoluten Geborgenheit, die mir das Opium gab, das war Frieden bis ins Knochenmark, und was meine Liebe anging – die sah sich satt an ihrem Gesicht. Eine Art von Sättigung, die immer noch mehr vertragen kann. Eine Völlerei ohnegleichen, aber ohne Überdruss. Meine Lider senkten sich opiumbedingt immer wieder, aber ich hielt die Augen offen, so gut es ging, um mich weiter an ihrem schönen Gesicht sattzusehen. Und als sie mal für kleine Mädchen musste, sah ich mich satt an der Schönheit der Palmen, die vor der Hütte standen, an der Schönheit der Bucht zur blauen Stunde, sogar die kleinen Hängebauchschweine fand ich wunderschön. Später lagen wir, auch opiumbedingt, nur noch nebeneinander auf dem Rücken, meine Hand parkte auf ihrem Arm, und diese paar Quadratzentimeter Körperkontakt fühlten sich wie eine kosmische Hochzeit an. Natürlich wurde nichts daraus, natürlich war das nur ein Opiumrausch, aber das ist mir egal. Das Erlebnis bleibt unvergessen, und dafür danke ich der Droge sehr. Aber süchtig wurde ich nie nach ihr. Und ich habe sie auch nie gesucht. Ich nahm Opium nur, wenn es zufällig des Weges kam, und nach Goa brauchte es immerhin 20 Jahre für einen weiteren Versuch und für ein drittes Mal weitere zehn. Die Erkenntnisse, die ich daraus gewann, lauten: Erstens kann ich Haschisch nicht als Einstiegsdroge für Opium diffamieren, denn meinen ersten Joint habe ich bereits elf Jahre vorher geraucht, und zweitens führt Opium nicht automatisch in die Abhängigkeit. Es braucht dafür Voraussetzungen im Userprofil, und wer die Voraussetzungen nicht erfüllt, wird kein Junkie. Der Mensch ist doch folgendermaßen gebaut: Je größer seine Sehnsucht nach Geborgenheit, desto größer ist seine Suchtanfälligkeit. Und Opium kann Mutterleib. Große Sehnsucht kommt von großem Mangel. Die ersten sieben Jahre sind da entscheidend. Ich verbrachte sie bei meinen Großeltern, und ähnlich wie bei Obelix, der als Kind in ein Fass mit Zaubertrank gefallen war, planschte ich in einem Fass voller Liebe und Geborgenheit. Das reichte für ein Leben. Und die Straße wurde stattdessen mein Sehnsuchtsding. Abenteuerlust und Opiumgenuss? Das passt nicht. Und braucht es auch nicht, weil die Instant-Glückseligkeit, die uns Opium schenkt, jedes Abenteuer, ja jeglichen Bewegungsdrang sofort verschlingt. Das ist ein Grund, warum ich Opium zwar genießen konnte, aber nicht beim Opium hängen bleiben musste. Ich hatte andere Prämissen, andere Pläne, Visionen, Ziele. Und ehrgeizig war ich auch. Ich liebte den Wettkampf und liebte es zu gewinnen, und wenn ich verlor, liebte ich es, wieder aufzustehen, und das entspricht einfach nicht dem Anforderungsprofil für eine Opiumsucht. Die braucht die Lust am Liegenbleiben. Das wird den Kiffern zwar auch nachgesagt, aber es wird ihnen halt viel nachgesagt, wenn der Tag lang ist. Opium ist die Königin der Träume. Haschisch träumt ’ne Nummer kleiner, und das nennt man Inspiration. Das eine genügt sich selbst, das andere hilft beim Schreiben. Haschisch rauchen ist nicht unprofessionell. Aber auch nicht die Droge der Profis. Die heißt Kokain.
Die Schlampe und Mary Jane
Wann immer ich höre, dass Cannabis eine Einstiegsdroge für Kokain sei, weiß ich nicht, ob es eine freche Lüge oder schlichte Inkompetenz ist, die da grad referiert. Nicht nur weil zwischen meinem ersten Joint und meinem ersten Näschen 30 Jahre liegen, sondern vor allem, weil die beiden Drogen miteinander verfeindet sind. Die Kokain-Katze und das Haschisch-Häschen. Oder auch die Schlampe und Mary Jane. Das ist einer der vielen Kosenamen für Marihuana, und Schlampe ist klar. Ihre Gegensätzlichkeiten: Mary Jane kann schweigen, die Schlampe nicht. Mary Jane kann zuhören, die Schlampe hört nur sich. Mary Jane kann geben, die Schlampe nur nehmen. Und was den Sex angeht: Mary Jane wirkt wie ein Aphrodisiakum, die Schlampe wie ein Narkotikum. Mary Jane ist sinnlich, die Schlampe kalt. Nicht nur im Bett, auch auf dem Parkett. Man erkennt sie sofort. Die Geile ist Mary Jane und die Gierige der Vampir. Ich saß in dem Berliner Lokal für Superprofis mit einem Galeristen und seinen Frauen zu Tisch. Erst redete er wie ein Wasserfall, und das durchaus genial, dann lud er mich auf eine Line in der Toilette ein. Ich hatte seit sieben Jahren kein Kokain mehr genommen und jetzt noch zu wenig getrunken, um auf das Leckomio-Level zu kommen. Deshalb sagte ich erst mal Nein. Und trank weiter. Nach seiner Rückkehr war ich so weit, und er schenkte mir, was übrig geblieben war.
Geschenkt ist geschenkt
Die Toiletten des Lokals für Superprofis sind multifunktional für Notdurft, Sex und Drogenmissbrauch ideal. Trotzdem war außer mir grad niemand da. Ich machte es mir in einer der geräumigen Kabinen bequem und checkte den Restbestand des Galeristen. Es reichte für zwei Lines. Als ich eine davon reingezogen hatte, hörte ich die Tür zum Vorraum aufgehen. Der Galerist. Er rief nach mir. Ich antwortete nicht. Ich rührte mich nicht. Er wusch sich die Hände, rief weiter meinen Namen. Nicht laut, nicht lästig, er bemühte sich um einen beschwingten, fast singenden Tonfall, denn das Leben ist ja ein großer Spaß. Und ich blieb weiter mucksmäuschenstill. So ging es noch ein bisschen weiter. Er ging sogar vor den Kabinen auf und ab, und sein Rufen verlor an Musikalität. Als er aufgegeben hatte und wieder abgerauscht war, zog ich die zweite Line rein. Gier ist eine Todsünde. Egal ob an der Börse oder auf dem Klo. Und eine Droge nicht teilen zu wollen, noch dazu mit einem, der sie mir geschenkt hatte, ist asozial. Das Kokserhirn sieht das anders. Geschenkt ist geschenkt. Und ich bin nicht Mutter Teresa. Kiffer dagegen lieben es, ihren Joint mit einem Freund zu teilen oder einer befreundeten Person – und gern auch mit Fremden. Das ist Usus, das ist Ritus, das gehört sich so. „Don’t bogart that joint, my friend.“ Auch wenn es ihr letzter ist? Dann lieben sie es vielleicht nicht, aber sie teilen ihn trotzdem. Haschisch ist eine Droge mit sozialer Kompetenz. Kokain kann nur enthemmtes Ego. Das sind zwei verschiedene Welten. Wie kann die eine der Einstieg zur anderen sein? Nein, die Einstiegsdroge für Kokain ist Teufel Alkohol. Das passt fein.
Der Teufel Alkohol
Ich trinke eher selten. Ich kann wochenlang auf Alkohol verzichten, ohne dass mir der Verzicht auffällt, und das nennt man vergessen. Ich brauche keinen Alkohol, ich falle nur manchmal rein, wie halt die Feste fallen, zum Beispiel letzte Woche in meiner Nachbarschaftsdiskothek. Wir waren zu dritt unterwegs. Vorher hatten wir beim Mexikaner schon zur Enchilada jeder einen Caipirinha konsumiert, in der Disco kam Cuba Libre auf die Theke. Er schmeckte uns nicht. Es war zu viel Zitronensaft drin. Der Inder, der den Laden schmeißt, ist ein Freund von mir und stellte auf Kosten des Hauses drei Rum mit Cola limettenfrei dazu. Kaum hatten wir das verputzt, spielten Geschmacksfragen keine Rolle mehr, und wir schluckten auch das, was uns vorher nicht gemundet hatte. Der Besitzer der Diskothek, auch ein Freund, gesellte sich zu uns, um uns einen 28-jährigen Rum pur zu spendieren. So was schmeckt fabelhaft, löscht aber natürlich nicht den Durst. Die nächste Ladung Cuba Libre war deshalb schon im Anmarsch, darauf folgten noch ein, zwei oder möglicherweise auch drei, und wir taten das einzig Richtige und tanzten dabei. Und immer wenn ich auf ein Päuschen zurück zur Theke ging, trank ich halt, was da noch rumstand, egal ob es mein Glas oder das der anderen war, es stand ja kein Name drauf. Am Ende brachten mich die beiden heim. Es handelt sich dabei nur um knapp 200 Meter, aber sie dachten, sicher ist sicher, und hakten sich bei mir ein. Erst vor der Haustür ließen sie mich los. Allein im Treppenhaus ging ich nicht mehr geradeaus. Es fiel mir auf, weil ich meinen Kopf an der Wand angeschlagen hatte, nur wenig, nichts Dolles, es tat auch null weh, aber es reichte, um den Ernst der Lage zu erkennen und die Mitte a) zu suchen und b) nicht mehr zu verlieren, bis ich vor meiner Wohnungstür stand. Anscheinend hatte das gut geklappt, denn das Aufschließen verlief fabelhaft. Anschließend saß ich noch rund zwei Stunden regungslos am Küchentisch und freute mich über den gelungenen Abend. In den Spiegel sah ich erst beim Zähneputzen am nächsten Tag. Eine Beule, so groß wie ein violettes Osterei, wuchs aus meiner linken Stirnseite heraus. Darunter sah mich ein fettes blaues Auge erschrocken an. „Alter, wie konnte das passieren?“ Und die Antwort ist: „Ich bin schon lange kein Kokser mehr. Darum.“ Hätte ich zum Rum auch Lines genommen, wäre ich heil ins Bett gekommen. Kokain neutralisiert Alkohol, macht ihn aber nicht wirkungslos. Er macht immer noch Spaß und schmeckt weiterhin gut, aber man lallt nicht, man schwankt nicht, man fällt nicht, man knallt nicht gegen Hauswände, egal wie viel man getrunken hat. Ich habe zwei Jahre in Havanna gelebt. Daher kenne ich das. Die Rum-Koks-Kombination gehörte zum Standardprogramm jeder Salsa-Party, weil man damit so gut tanzen kann. Man verliert nicht die Macht über seine Balance, im Gegenteil, man gewinnt an Macht über sie. Dasselbe gilt für die Reflexe und für die Reaktionsgeschwindigkeit, egal ob beim Autofahren oder am Pokertisch, man trinkt so viel, wie man bezahlen kann, und bleibt trotzdem cool. Das macht Alkohol und Koks zu Geschwisterdrogen. Sie kommen nie allein. Sie ergänzen sich perfekt. Für das Geschenk der Kontrollfähigkeit schenkt Teufel Alkohol dem Kokain-Vampir eine gewisse Leutseligkeit. Haschisch und Koks schenken sich dagegen überhaupt nichts. Wie kann das eine dann der Einstieg für das andere sein? Ausstiegsdroge ist richtig. Kokser dämpfen mit Haschisch ihren Entzug ab, sie rauchen sich runter, sie schlafen mit Haschisch endlich wieder ein. Einstiegsdroge bedeutet, dass man bei einer Substanz Blut geleckt hat und bei einer härteren mehr von diesem Blut zu lecken hofft. Das kann Kokain dem Kiffer nicht bieten. Heroin auch nicht. Nur die psychedelischen Drogen halten, was das psychoaktive Cannabis verspricht. THC ist die Einstiegsdroge für LSD und halluzinogene Pilze. Aber deren Wirkung ist viel zu stark, um eine Gewohnheitsdroge aus ihnen zu machen.
Joint Adventure
Helge Timmerberg kennt das Gute und das Böse im Cannabis, dessen Höhenflüge und Abstürze, die Kiffer-Paranoia und den Krümel zu viel. Darüber verfasst er ein Buch – „Joint Adventure“ –, für das er nicht nur die eigenen Erfahrungen zu Rate zieht, sondern auch seine Erlebnisse mit der lieben Mary Jane, die anderswo tatsächlich nicht mehr ist als eine freundliche Bekannte, mit der man gerne den Abend verbringt. Im Interview mit FACES verrät Helge Timmerberg, wie sein neustes Buch „Joint Adventure“ entstranden ist.
Helge Timmerberg, „Joint Adventure“, Piper, ca. 33.–
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