Auf Streifzügen durch die Stadt sammelt Nicolaus Armani nicht nur Schritte, sondern vor allem Fotos. Im Interview verrät er, warum er ganz ohne Eifersucht Inspiration aus anderen KünstlerInnen zieht, wie sein perfekter Tag aussieht und wie er es schafft, seinen Fotos die Zeitlosigkeit einzuhauchen.
F: Abgesehen von deiner Kunst gibst du online wenig über dich preis. Darum unsere erste Frage: Wer bist du und wie würdest du dich jemandem beschreiben, der dich nicht kennt?
Nicolaus Armani: Ich bin ein autodidaktischer Fotograf aus New Jersey, der es liebt, die Stadt zu fotografieren und das Leben zu genießen. Ich versuche, die Dinge nicht allzu ernst zu nehmen und bin immer auf der Suche nach Möglichkeiten, Spaß zu haben. Reisen, Lesen und Spaziergänge in der Stadt und Natur helfen mir, ein Gefühl der Ruhe zu finden – auch wenn das Leben nicht immer mitmacht. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie ich mich sonst noch beschreiben würde – ich versuche einfach, nett zu sein zu allen Menschen, denen ich begegne und mich an den kleinen Dingen zu freuen.
F: Du findest die zeitlosesten Menschen und Orte für deine Fotos – manchmal ist es schwierig zu sagen, ob ein Bild aus dem Jahr 2025 oder 1950 stammt. Bist du ein Zeitreisender oder steckt ein anderes Geheimnis hinter deinen Bildern?
NA: Wenn es doch nur Zeitreisen gäbe… Meine Arbeit entsteht durch endloses Herumstreifen durch die Stadt. Immer mal wieder habe ich Glück und fange einen zeitlosen Moment ein, der sich in der modernen Welt versteckt. Die besten Bilder passieren einfach – ich existiere einfach und bemerke die schönen Dinge, wenn sie auftauchen.
F: Würdest du tatsächlich lieber in den Fünfzigerjahren durch die Straßen ziehen oder ist es nur die Ästhetik dieser Zeit, die dich anspricht?
NA: Es würde das Fotografieren auf jeden Fall erleichtern, das ist sicher. Ob ich wirklich in dieser Zeit leben wollen würde, weiß ich nicht. Vor allem das Design, die Ästhetik und das allgemeine Gefühl sprechen mich an.
F: Wenn wir schon von den Fünfzigerjahren sprechen und mit Blick auf deine Arbeit: Spuren von Saul Leiter, Vivian Maier und Co. sind deutlich sichtbar in deinen Bildern. Sind diese frühen Ikonen der Straßenfotografie deine größten Inspirationen? Gibt es auch weniger offensichtliche Inspirationen, die deine Arbeit beeinflussen?
NA: Saul Leiter ist meine größte Inspiration – nicht nur in der Fotografie, sondern auch im Leben. Seine Arbeit und sein Blickwinkel haben mich sehr beeinflusst. Einige andere, die mich inspirieren, sind Sergio Larrain, Ernst Haas und Boris Savelev, obwohl es wahrscheinlich zu viele gibt, um sie zu nennen. Außerdem schätze ich Maler wie Édouard Vuillard und Pierre Bonnard sehr.
F: Was war der Auslöser für dein Interesse an der Fotografie?
NA: Ich bin 2017 über Instagram zur Fotografie gekommen. Von da an hat es sich zu dem entwickelt, was es heute ist. Es ging alles ziemlich schnell – ich war sofort Feuer und Flamme, als ich die Arbeiten einiger unglaublicher FotografInnen aus New York City entdeckte. Da ich nur anderthalb Stunden entfernt wohne, bin ich gleich am nächsten Tag mit einer billigen DSLR in den Zug gesprungen und habe angefangen zu experimentieren und versucht, den Großen wie Leiter, Haas und Gruyaert nachzueifern.
„Saul Leiter ist meine größte Inspiration – nicht nur in der Fotografie, sondern auch im Leben.“
F: Erinnerst du dich an das erste Bild, das du je gemacht hast?
NA: Das allererste Bild habe ich vermutlich mit einem Handy aufgenommen. Bei mir hat es erst richtig Klick gemacht, als ich anfing, regelmäßig nach New York zu reisen. Von da an fing ich an, es wirklich ernst zu nehmen.
F: Wie definierst du die Straßenfotografie in deinen eigenen Worten? Was ist es, das sie für dich lohnenswert macht?
NA: Ich nenne es heutzutage nicht mehr wirklich Straßenfotografie, aber wenn ich es definieren müsste, würde ich sagen, es ist das Streben nach Präsenz, der Akt, ganz im Moment zu sein, und die Suche nach der Schönheit, die in der Stadt verborgen ist. Es bringt mich aus dem Haus und in die Welt hinaus – das ist es, was es wert ist.
F: Kann man Straßenfotografie überhaupt lernen oder üben oder ist sie eher intuitiv?
NA: Es ist eine Mischung aus beidem. Man muss bereit sein, etwas Zeit und Arbeit zu investieren – da kommt auch die Praxis ins Spiel. Mit der Zeit und viel Übung verfeinert man die intuitive Seite, und es wird einfacher – zumindest sage ich mir das.
F: Gelegentlich gibt es Diskussionen über die Ethik der Straßenfotografie und das Fotografieren von Menschen ohne deren Wissen. Verfolgst du den Diskurs?
NA: Nicht wirklich, darum habe ich auch keine eindeutige Meinung. Ich finde, es ist in Ordnung, solange man die Leute nicht stört oder die Szene oder die Umgebung beeinträchtigt.
F: Hast du schon unangenehme Begegnungen gehabt, während du unterwegs warst zum Fotografieren? Bemerkt man dich überhaupt?
NA: In meiner Anfangszeit gab es einige hitzige Momente, vor allem, als ich mit breiteren Objektiven experimentierte und am herausfinden war, welche Art von Bildern ich überhaupt machen wollte. Jetzt bin ich erfahrener – ich weiß, wie ich fotografieren muss, worauf ich achten muss und wem ich aus dem Weg gehen muss. Die meiste Zeit bemerken mich die Leute nicht einmal. Diejenigen, die mich bemerken, sind normalerweise nicht diejenigen, die ich fotografiere.
F: Versuchst du dich auch in anderen Genren der Fotografie?
NA: Nicht wirklich. Ich habe zwar angefangen, mit Models zu arbeiten, aber nicht im Studio, sondern ebenfalls auf der Straße oder in einer abstrakten Umgebung. Und wenn ich in der Natur bin, dann lasse ich die Kamera zuhause – ich erlebe die Landschaft lieber, als zu versuchen, sie einzufangen.
F: Wie sieht ein perfekter Fotografietag für dich aus?
NA: Es ist ein warmer, sonniger Frühlingsnachmittag in Paris. Ich habe nur meine Kamera und ein Zoomobjektiv dabei und spaziere durch das fünfte und sechste Arrondissement. Ohne festgelegtes Programm – nur spazieren, in Cafés anhalten, Leute beobachten und Spiegelungen einfangen. Das ist alles, was ich brauche.
„In bildender Kunst und Fotografie hat KI nichts verloren.“
F: Bist du mit Instagram auch so frustriert wie die meisten KünstlerInnen momentan?
NA: Ich bin kein Fan der Richtung, in die sich Instagram entwickelt, aber da es sich meiner Kontrolle entzieht, mache ich mir keinen großen Stress.
F: Was hältst du von künstlicher Intelligenz, die rasant Einzug in die Fotografie hält?
NA: Ich finde, in bildender Kunst und Fotografie hat KI nichts verloren. Ich habe noch keine KI-generierten Bilder gesehen, die mir wirklich gefallen.
F: Gibt es eine Fotografieregel, die du gerne brichst?
NA: Ich breche wahrscheinlich alle Regeln ständig, da ich sowieso keinen folge.
F: Nennen sich die Leute heutzutage zu schnell FotografIn, nur weil sie sich eine teure Kamera geholt haben?
NA: Solange es niemandem schadet, sollten die Menschen tun, was sie glücklich macht. Wenn es ihnen Freude macht, eine teure Kamera zu kaufen und sich selbst als FotografIn zu bezeichnen, dann tun sie es doch. Das Leben ist zu kurz, um andere wegen solcher Dinge zu verurteilen.
F: Gibt es ein Foto, das du am liebsten selbst gemacht hättest?
NA: Ich bin nicht wirklich eifersüchtig auf die Arbeiten anderer – wenn ich etwas sehe, das mir gefällt, inspiriert mich das einfach. Alle Arbeiten von Leiter in Paris sind definitiv meine Favoriten.
F: Wie viel von dir selbst spiegelt sich in deinen Fotos wider, auch wenn du unsichtbar und geheimnisvoll bleibst?
NA: Ich verbringe wenig Zeit damit, mich selbst zu analysieren, um eine Verbindung zu meiner Arbeit zu finden. Genau das trägt wohl zum Geheimnis bei. Ich bin einfach hier, präsent und genieße es, das zu teilen, was ich in der Welt schön finde.
F: Haben sich deine Bilder im Laufe der Zeit weiterentwickelt, oder hast du deinen unverwechselbaren Stil schnell gefunden?
NA: Es brauchte schon seine Zeit. Die Überlagerungen und die Komplexität der Reflexionen kamen zuerst, und die Rottöne und die Farbkonsistenz entwickelten sich später. Es brauchte viele Aufnahmen, bis es wirklich zu meinem eigenen Stil wurde.
F: Wie beginnt ein Foto für dich: In deinem Kopf und dann suchst du es draußen, oder spontan?
NA: Ich suche einfach nach Dingen in der Welt. Selbst wenn ich ein Model fotografiere, habe ich die Orte oder Kompositionen meist schon gefunden – entweder warte ich darauf, dass ein Motiv auftaucht, oder ich platziere das Model in der Szene.
F: Hörst du während dem Fotografieren Musik? Was ist der Soundtrack zu deinen Bildern?
NA: Das ist schwierig zu beantworten. Ich höre je nach Tag und Stimmung verschiedene Genres. Ein paar Musikstile passen tatsächlich zu meiner Arbeit, aber die möchte ich lieber nicht verraten. Ich überlasse es nämlich gerne den BetrachterInnen, das Bild samt passender Musik selbst zu interpretieren.
F: New York und Paris sind wohl einige der fotogensten Orte. Wo sonst würdest du gerne mit der Kamera umherstreifen?
NA: Ich freue mich darauf, eines Tages nach Italien, in die Schweiz, nach Portugal und vielleicht nach Marokko und Kuba zu reisen. Ich bin sicher, dass meine Liste mit der Zeit immer länger wird. Ich würde auch gerne einige osteuropäische Länder erkunden.
F: New York kennst du wohl am besten. Gibt es Gebiete in der Stadt, die noch nicht richtig eingefangen wurden oder die es verdienen, mehr gezeigt zu werden?
NA: Ich bin mir sicher, dass es viele Orte gibt, je nachdem, welchen Stil man fotografieren möchte. Ich denke, dass ich mich diesen Frühling und Sommer auf die Erkundung von Upper Manhattan konzentrieren werde.
„Das einzige Ziel ist es, den Prozess zu lieben.“
F: Wen hättest du eines Tages gerne vor der Linse?
NA: Niemand spezifisches – alle Models, die Lust drauf haben.
F: Welches Foto hast du noch nicht gemacht, möchtest du aber unbedingt einmal machen?
NA: Es geht nicht um ein bestimmtes Foto, sondern eher um neue Orte, die ich besuchen möchte.
F: Wie verbringst du deine Zeit, wenn du einmal keine Kamera in der Hand hast?
NA: Ich liebe es, in Cafés zu sitzen, Bücher zu lesen und in der Natur oder im Park spazieren zu gehen. Ein wirklich einfaches Leben zu führen.
F: Verfolgst du bestimmte Fotografieziele für die Zukunft?
NA: Das einzige Ziel ist es, den Prozess zu lieben und weiterhin Arbeiten zu schaffen, die meine Seele ansprechen.
F: Ein paar kurze Fragen zum Schluss…
… Farbe oder Schwarz-Weiß?
NA: Das kommt auf’s Bild an.
… Analog oder digital?
NA: Aufgrund der hohen Preise eher digital, aber ich liebe Film und den gesamten Prozess, der damit verbunden ist.
… Straße oder Studio?
NA: Straße, für immer.
… Instagram oder ein physisches Fotobuch?
NA: Beides ist auf seine eigene Art cool.
…Blitz oder natürliches Licht?
NA: Natürliches Licht gewinnt.
…New York oder Paris?
NA: Für immer Paris.
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Fotos: © Nicolaus Armani