Wie von den Seiten eines Märchenbuchs geschält, ranken sich Lilo Klinkenbergs Gebilde in den Raum. Die floralen Arrangements und moosbewachsenen Strukturen der Berlinerin sind eine Architektur der Wildnis. Die Umarmung von Mutter Natur, sorgfältig inszeniert von Menschenhand. Mit Studio Lilo hat sich die studierte Modedesignerin auf Kunst spezialisiert, welche die wilde Landschaft nicht bloß abbildet, sondern zum Rohstoff des kreativen Ausdrucks macht. Damit stellt sie nicht nur unsere Blumendekorationen auf dem Festtagstisch in den Nachtschatten, sondern feiert internationale Erfolge und zieht die Aufmerksamkeit der Modewelt auf sich.
FACES: Du hast ursprünglich Modedesign studiert. Inwiefern lässt sich deine Kreativität besser ausdrücken, indem du ihr mit Pflanzen Gestalt gibst?
Lilo Klinkenberg: Während meines Studiums an der UdK in Berlin habe ich gemerkt, dass der Körper allein mir nicht genug Fläche bietet und auch an sich schon zu viel Form hat, um mich auszudrücken. Mir wurde klar, dass ich eher atmosphärisch, eher räumlich arbeiten will. Interessanterweise denke ich heute immer wieder an mein Studium und stelle fest, wie sehr es mich geprägt hat. Ich gestalte zwar nicht mehr am Körper, aber ich betrachte manche Skulpturen als Körper und manche Materialien als Stoffe.
F: Was waren Momente oder Aufträge, die dir das Gefühl gaben, mit Studio Lilo ein neues Level erreicht zu haben?
LK: Die Greenery-Gestaltung für Flos während des Salone del Mobile in Mailand. Das war ein großer Auftrag, auch das erste Mal aus Mailand, und ich hatte dann auch noch viel kreative Freiheit. Er wurde zu einer Art Startschuss für viele weitere internationale Projekte, die ich seitdem gemacht habe. Was mich bis heute am meisten freut: Wenn ich eine Anfrage von Kunden oder Kooperationspartnern bekomme und merke, dass ich für genau das angefragt werde, was ich mache. Wenn meine Arbeit, meine Ästhetik verstanden wird.
F: Woher beziehst du all das Rohmaterial für deine Installationen?
LK: Ich verwende, soweit es geht, regionale Pflanzen und arbeite mit den Großmärkten vor Ort zusammen, egal wo. Das ist auch eine Art, die Welt kennenzulernen! Manchmal kommt es aber auch ganz anders. Im Oktober habe ich ein Projekt in Neapel gemacht für eine Designmesse und ausschließlich saisonale und lokale Pflanzen benutzt. Die Planung war ziemlich spontan, ich habe erst zwei Tage vor der Produktion wirklich gewusst, was ich von dem Gärtner bekomme. Wir haben dann mit Olivenzweigen, Rosmarin und Blaueiche eine große Installation in der Mitte eines Patios des Staatsarchivs von Neapel gebaut.
„Was ich mir erhoffe, ist, dass meine Arbeit den Blick auf die Natur verändern kann.“
F: Welche Pflanzen bevorzugst du für deine Arbeiten? Welche sind eher schwierig zu handhaben?
LK: Moos ist und bleibt mein Lieblingsmaterial, mal natürlich grün, mal gefärbt. Ich arbeite mit Moos wie andere Künstler mit Ton. Blumen sind fragil und müssen immer gut mit Wasser versorgt sein, für Installationen ist das Arbeiten mit ihnen komplizierter, auch weil ich weitestgehend auf Floral Foam verzichte. Ich möchte mich davon aber nicht abschrecken lassen und baue deshalb aufwändigere Unterkonstruktionen, damit ich nicht auf sie verzichten muss.
F: Deine Installationen wirken wie ein Stück Natur, das sich seinen Raum in einer urbanen Umgebung zurück erkämpft hat. Siehst du in deiner Kunst auch eine politische Dimension oder betrachtest du sie rein ästhetisch?
LK: Das Schönste für mich ist zu erleben, wie andere Menschen auf meine Kunst reagieren. Wie sie die Objekte betrachten und welche Gedanken ihnen dabei kommen. Was ich mir erhoffe, ist, dass meine Arbeit den Blick auf die Natur verändern kann, vielleicht die Sinne etwas schärft, um sie bewusster wahrzunehmen. All die schönen Formen und Farben, die jede Jahreszeit mit sich bringt, zu erkennen und sie wertzuschätzen.
F: Womit beginnt deine künstlerische Inspiration? Mit der Farbe? Der Form? Dem Material? Oder wechselt das von Objekt zu Objekt?
LK: Das kann alles sein. Aber tatsächlich sind es immer eher Form und Farbe, die mich inspirieren, als dass es eine einzelne Blume oder Pflanze ist. Oftmals ist es auch ein Raum, der gewisse Visionen auslöst. Gerade bin ich sehr inspiriert von den vereinzelten gelben Herbstbäumen, die zwischen Bäumen stehen, die schon komplett ihre Blätter verloren haben. Oder der erste Schnee, der sich wie ein Schleier auf einen Sandhügel bei einer Baustelle gelegt hat.
F: Hast du eine Vision oder ein Traumprojekt, das du bislang noch nicht umsetzen konntest? Eine Herausforderung, die dich besonders reizt?
LK: Ich arbeite zurzeit daran, meine Objekte haltbar zu machen und experimentiere mit verschiedenen Techniken, anderen Materialien und mit Farbe. Für meine Ausstellung „is this even real?“ im vergangenen Sommer habe ich sechs Skulpturen gebaut, und es hat geklappt, dass sie in ihrer Form und ihrer Farbe erhalten geblieben sind. Als nächstes träume ich davon, Skulpturen für draußen zu bauen: abstrakte Formen an lebenden Objekten. Formschnitt, aber nochmal auf einem anderen Level.
„Ich arbeite zurzeit daran, meine Objekte haltbar zu machen und experimentiere mit verschiedenen Techniken, anderen Materialien und mit Farbe.“
F: Früher oder später verwelken deine Werke. Stimmt dich das wehmütig oder ist das Teil vom Reiz?
LK: Das Verwelken meiner Werke löst schon eine gewisse Melancholie aus, aber ich habe gelernt, die Zeit, die ich mit meinen Werken habe, sehr zu genießen und wertzuschätzen. Und das Tolle ist, dass Blumen auch verwelkt noch schön aussehen können. Ich mag es sehr, den Prozess zu beobachten.
F: Wenn du auf einen Spaziergang in der Natur aufbrichst, siehst du Bäume und Blumen schon als mögliche Skulpturen, oder kannst du sie auch genießen, ohne an zukünftige Projekte zu denken?
LK: Oh, ich genieße es, an zukünftige Projekte zu denken. Ich bin einfach dankbar dafür, an so vielen Orten Inspiration finden zu können. Das passiert übrigens selten beim Spazierengehen, sondern eher, wenn ich schnell irgendwo vorbeilaufe oder fahre. Der kurze Blick auf die Natur bringt mich oft auf eine Idee, das liebe ich an Geschwindigkeit. Mein Gehirn speichert dann nur diesen Eindruck, den Moment, und hat gar keine Gelegenheit, das alles zu überdenken. Deshalb liebe ich Autofahrten auch so. Gestern habe ich eine Skulptur von Berlin nach Aarhus in Dänemark gefahren, und der Weg dorthin hat mich auf zwei Ideen gebracht. Ob ich sie jemals umsetze, weiß ich noch nicht, aber was gibt es Schöneres, als inspiriert zu sein?
F: Wo ist dein Lieblingsfleck in der Natur, in Berlin und weltweit?
LK: Das klingt vielleicht komisch, aber in Berlin ist es beispielsweise der Mittelstreifen am Hohenzollerndamm Ecke Spichernstraße. Und die Ginkgo-Bäume vor der Deutschen Oper, die so schön tanzen. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich dort vorbeikomme. Oder der große Wisteria-Strauch in der Oranienstraße in Kreuzberg. Ich bin eben ein richtiges Stadtkind, mich inspirieren Kontraste. Die Formen der Ginkgo-Bäume vor der Deutschen Oper würde ich wahrscheinlich gar nicht so wahrnehmen, wenn sie in einem Mischwald in der Uckermark stehen würden. Ich sehe überall Formen, ich bin fasziniert von den Bewegungen der Natur, vor allem im urbanen Raum. Außerhalb von Berlin inspirieren mich zwei Inseln ganz besonders, so unterschiedlich sie auch sind, Helgoland und Lanzarote. An Helgoland liebe ich die Weite, von den Grashügeln und den roten Klippen geht es bis in die scheinbare Unendlichkeit. Und auf Lanzarote, einige Flecken grüner Natur, andererseits die schwarzen Vulkanflächen, verbringe ich seit einigen Jahren immer ein paar Wochen im Winter. Die Insel beruhigt mich einfach.
Was für botanische Kunstwerke Lilo gerade erschafft, siehst du hier.
Fotos: © Studio Lilo, © Conrad Bauer, © Clemens Poloczek, © Mathias Leidinger
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