Ihre Maße kommen 90-60-90 nahe. Ihr langes Salt-Pepper-Haar fällt locker über den zierlichen Rücken. Ihre Stimme ist rauchig, ihr Auftreten wahnsinnig selbstbewusst. Eveline Hall ist Schauspielerin und Model – und das mit mittlerweile 70 Jahren.
Januar 2011, Eveline Hall betritt den Catwalk der Michalsky Stylenite. Die Hüften schwingen anmutig, die Lippen sind gespitzt, das Publikum tobt. Eveline Hall startet damals ihre Modelkarriere – mit 65 Jahren. Zwischen all den dürren Küken ist sie eine schwebende Grazie. Modeln tut sie eigentlich nur, weil sie ihre Zeit nicht wie andere Betagte beim Bingo zubringen und sich über ihre tägliche Pillendosis unterhalten will. Auch Großmutter ist sie nicht. Denn sie wollte nie Kinder.
Hall wurde 1945 in Greifswald geboren. Ihre Mutter Gisela war Tänzerin, ihr Vater der Schauspieler Kurt Klopsch. Aufgewachsen ist sie erst in Berlin, dann in Hamburg in den bescheidenen Verhältnissen der Nachkriegszeit. Als Tochter einer Ballerina wurde sie mit Tanzen groß. Ihre Mentoren Peter von Dyk und Rolf Liebermann zogen sie zur klassischen Solo-Balletttänzerin hoch, mit 15 Jahren tanzte sie an der Hamburger Staatsoper. Irgendwann war sie gelangweilt vom strengen Reglement einer Primaballerina und vom provinziellenHamburg. Mit Mitte 20 zog sie nach Los Angeles und tanzte dort als Showgirl in der Bluebell-Gruppe im Lido, arbeitete mit Siegfried und Roy zusammen, feierte mit Elvis Presley, Barbra Streisand und Tina Turner. In einer der langen, exzessiven Nächte lernte sie den gutaussehenden Cherokee-Indianer David Hall kennen. Ein jähzorniger, eifersüchtiger Mann. Sie heirateten. Die Ehe scheiterte. Und doch trägt sie seinen Nachnamen noch heute, er war ihre große Liebe. Kurz nach der Trennung ging Eveline Hall nach Frankreich, dort begann ihr „drittes Leben“ als Schauspielerin am Theater. Sie spielte in Basel, München, Hamburg, Wien, Straßburg und lernte im schnieken Frankreich ihren Toyboy Serge kennen. 23 Jahre jünger. Alles war perfekt, neun Jahre lang. Nach dem Tod ihres Vaters und dem Selbstmord ihres spielsüchtigen Bruders, verabschiedete sich Hall von Serge und ging zurück nach Hamburg. Alles auf Anfang. Sie tauschte ihre Wohnung in Aix-en-Provence gegen die 65-Quadratmter-Hütte ihrer Kindheit. Zurück in Deutschland landete Hall bei einer People-Agentur. Der Grundstein für Leben Nummer Vier war gelegt: als Model – und das mit 60 Jahren. Über ihr Zickzack-Leben veröffentlichte Hall ein Buch. In „Ich steig aus und mach ‚ne eigene Show“ beschreibt sie, was ihr Leben fernab von Kräutergärten und Fencheltees bestimmte. Im Juni 2015 kam ihr Debüt-Album „Just A Name“ raus. Darauf zu hören: ihre rauchige WhiskeyStimme. Eveline Hall hat nie geraucht, Alkohol kennt sie nur in Form von Rotwein zu einem saftigen Steak. Sie liebt das Essen genauso wie ihr Leben, das sie immer wieder neu entdeckt. Auch mit beinahe 70.
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Foto: picture alliance / rtn – radio tele nord | rtn, ulrike blitzner