Ob Helsinki oder Paris, wo Kasperi Kropsu mit seiner Kamera durch die Straßen schlendert, entstehen nostalgiegetränkte Fotos, die sich keiner bestimmten Zeit zuordnen lassen. Warum es in Paris einfacher ist zu fotografieren, wie er seine Hass-Liebe mit Instagram handhabt und was er von FotografInnen hält, die KI benutzen, erzählt er im Interview.
FACES: Was ist die Kamera deiner Wahl?
Kasperi Kropsu: Ich benutze eine Fujifilm XT-4 und ein iPhone.
FACES: Ein iPhone! Heißt das, dass dir die Ausrüstung weniger wichtig ist, und es vor allem darauf ankommt, ein gutes Auge für das Bild zu haben?
Kasperi Kropsu: Ein gutes Auge ist definitiv das Wichtigste. Bis zu einem gewissen Grad kann neues Equipment inspirieren oder zum Experimentieren anregen, aber eine neue Kamera kann die Fotos nicht für mich machen. Ich liebe das Zitat von Henri Cartier-Bresson: „Es ist eine Illusion, dass Fotos mit der Kamera gemacht werden. Sie werden mit dem Auge, dem Herzen und dem Kopf gemacht.“
FACES: Seit wann begeisterst du dich für die Fotografie?
Kasperi Kropsu: Meine frühesten Erinnerungen an die Fotografie als Kunstform starten ca. 2001. Da habe ich angefangen, Skateboard-Magazine zu kaufen. Es gab dieses kleine finnische Skateboard-Magazin Numero, und auch Thrasher und TransWorld aus den USA mochte ich gerne. Später habe ich dann audiovisuelle Kommunikation studiert, weil ich gerne Skatevideos schnitt. 2018 verknackste ich mir beim Skateboarden den Knöchel. Da habe ich mir eine Digitalkamera gekauft und angefangen zu fotografieren.
FACES: Deinen Stil kann man vor allem der Straßenfotografie zuordnen. War das von Anfang an dein liebstes Genre?
Kasperi Kropsu: Anfangs machte ich vor allem Fotos von meinen FreundInnen. Dann stolperte ich auf Instagram über einige alte Schwarz-Weiß-Fotos von Henri Cartier-Bresson. Das war ein richtiger Aha-Moment, alles hat sich für mich verändert. Ich ging nach draußen, machte einen Spaziergang mit meiner Kamera – und war sofort Feuer und Flamme.
FACES: Welche anderen StraßenfotografInnen inspirieren dich am meisten?
Kasperi Kropsu: Die Werke von Saul Leiter haben meine Sicht auf die Welt grundlegend verändert. Kurz darauf entdeckte ich Ernst Haas, der wahrscheinlich den größten Einfluss auf mich hatte. Diese beiden sind die wichtigsten, aber es gibt noch viele mehr: Vivian Maier, André Kertész, Joel Meyerowitz, Gordon Parks, Frank Horvat, Fred Herzog. Die meisten meiner HeldInnen sind längst verstorben.
„Ich habe die Kamera tatsächlich immer dabei, sogar, wenn ich nur kurz zum Supermarkt gehe“
FACES: Kannst du einen perfekten Fotografie-Tag beschreiben? Wo und wie lange bist du unterwegs?
Kasperi Kropsu: Es gibt selten einen perfekten Tag zum Fotografieren, aber ideal ist, wenn man ohne Zeitplan umherstreifen kann: Ein bisschen spazieren, Kaffee trinken, mit FreundInnen oder Fremden plaudern… seines eigenen Glückes Schmied sein, wie man so schön sagt. Ich könnte überall auf der Welt sein und wäre glücklich, wenn ich den Tag genau so verbringen würde.
FACES: Hast du die Kamera immer dabei oder brauchst du manchmal eine kreative Pause?
Kasperi Kropsu: Ich habe sie tatsächlich immer dabei, sogar, wenn ich nur kurz zum Supermarkt gehe. Ich bin einfach zu besessen. Die einzigen Pausen, die ich mache, sind dann, wenn ich die Wohnung nicht verlasse. Wenn ich die Kamera zuhause ließe und dann über den schönsten Moment meines Lebens stolpern würde und diesen nicht festhalten könnte – ich glaube, ich könnte mir nie verzeihen (lacht).
FACES: Es gibt immer wieder Diskussionen, ob Straßenfotografie unethisch ist. Was denkst du dazu?
Kasperi Kropsu: Wenn man herumläuft und denkt: „Heute werde ich einen Haufen Leute ausbeuten, um ein bisschen fame zu bekommen“, dann geht man falsch an die Sache heran. Ich bin nicht da draußen, um Menschen zu belästigen. Mir geht es nur darum, das Leben durch den Sucher zu betrachten und zu erleben. Darin sehe ich nichts Unmoralisches. Menschen stehen in meinen Bildern ohnehin selten im Vordergrund. Sie sind eher Teil eines größeren Ensembles aus Farbe, Form, Silhouette. Außerdem denke ich, dass Fotos von echten Situationen und Emotionen in diesen künstlichen Zeiten, in denen wir leben, wichtiger sind denn je. Sie dokumentieren unsere Geschichte, ob es einem gefällt oder nicht.
FACES: Hast du eher positive oder negative Erfahrungen mit Menschen, die du auf der Straße fotografierst?
Kasperi Kropsu: Meistens positive. Es bemerkt selten überhaupt jemand, dass ich ein Foto von ihm gemacht habe. Nur einmal rief ein Typ so etwas wie „Ihr Fotografen seid der Abschaum der Menschheit“, nachdem ich ihn fotografiert hatte. Eine Entschuldigung wollte er nicht. Naja, life goes on!
FACES: Was sollen die BetrachterInnen fühlen, wenn sie deine Fotos anschauen?
Kasperi Kropsu: Sie sollen einen Hauch von einfacheren Zeiten spüren, die schon lange vorbei sind, aber immer noch irgendwie in kleinen Partikeln präsent sind.
„Wie schwierig es in Helsinki ist, gute Fotos zu machen, wurde mir erst in Paris bewusst“
FACES: Ist Straßenfotografie ein einsames Unterfangen? Oder würdest du auch mit anderen FotografInnen losziehen?
Kasperi Kropsu: Die besten Fotos entstehen meistens, wenn man alleine und konzentriert ist. FreundInnen können einen ablenken. Abgesehen davon hat man mit dem Smartphone schon genug Ablenkung. Ich vernetze mich aber sonst gerne mit anderen FotografInnen, gehe mit ihnen Kaffee trinken und unterhalte mich über unsere Arbeit.
FACES: Du lebst in Helsinki, hast aber letztes Jahr eine Zeit in Paris verbracht. Wie unterscheiden sich die beiden Großstädte hinsichtlich der Straßenfotografie?
Kasperi Kropsu: Helsinki ist heutzutage so grau. Die Schaufenster sind modern und minimalistisch, die Autos farblos. An den Straßenecken stehen Elektroroller. Das Image einiger der erfolgreichsten finnischen Marken besteht darin, farbenfroh und fröhlich zu sein, doch davon sieht man an den Fassaden der Läden nichts mehr. Das ist aber nicht nur ein Problem in Helsinki, sondern überall auf der Welt. Gute Fotos werden so immer seltener. Man muss auch einiges weglassen, um die Fotos zeitlos wirken zu lassen. Es braucht ganz schön Geduld, dafür durch die Straßen zu streifen. Aber ich finde es trotzdem wichtig, seine Heimat zu dokumentieren. Wie schwierig es in Helsinki ist, gute Fotos zu machen, wurde mir aber erst in Paris bewusst. Es ist unglaublich, wie viel einfacher das Fotografieren dort ist. So viele Farben und Formen, Menschen, die sich so kleiden, dass man sie auf seinen Fotos festhalten möchte! Es war toll, endlich die Bilder machen zu können, von denen ich schon immer geträumt habe. Das Fotografieren in Helsinki fühlt sich manchmal beinahe unmöglich an. Das ist frustrierend, denn Helsinki war in den Achtzigerjahren so schön. Mittlerweile wurden die meisten Farben abgewaschen und die schönen Neonschilder abmontiert – da ist kaum mehr etwas, das das Auge ablenken kann. Paris ist ein Beispiel dafür, wie man die Geschichte seiner Stadt wertschätzen und erhalten kann, das war einfach wunderschön.
FACES: Was ist nebst Paris deine Traumdestination für Straßenfotografie?
Kasperi Kropsu: Kuba! Und New York natürlich… Aber eigentlich träume ich die ganze Zeit davon, wieder nach Paris zu gehen.
FACES: Straßenfotografie kann den sozialen Wandel dokumentieren. Hast du Veränderungen in der finnischen Gesellschaft festgestellt, die du in deinen Fotografien dokumentiert hast?
Kasperi Kropsu: Unsere Gesellschaft ist mittlerweile ziemlich langweilig zum Fotografieren. Wir sind so isoliert wie noch nie, es passiert nichts Aufregendes auf der Straße. Die Menschen ertrinken in ihren Handys, den sozialen Medien oder in Videospielen und kommen nur selten aus ihren Wohnungen heraus. Und nebenan tobt der Krieg. Irgendwie spürt man einfach, dass eine Spannung in der Luft liegt.
FACES: Gibt es bestimmte Stadtviertel und Gegenden in Helsinki, die dich immer wieder anziehen?
Kasperi Kropsu: Kallio, meine Heimatregion. In Finnland gibt es den sogenannten „Kaurismäki-Vibe“, Orte und Stimmungen, die den Filmen von Aki Kaurismäki ähneln. Und Kallio hat die stärksten „Kaurismäki-Vibes“. Manchmal denke ich, ich lebe in seinen Filmen, wenn ich hier herumlaufe und herumhänge. Und in Gegenden wie Töölö und Eira liebe ich die wunderschöne alte Jugendstilarchitektur.
„Unsere Gesellschaft ist mittlerweile ziemlich langweilig zum Fotografieren“
FACES: Möchtest du dich auch einmal an andere Arten der Fotografie heranwagen?
Kasperi Kropsu: Seit ich die Arbeiten von Saul Leiter, William Klein, Tony Vaccaro und Frank Horvat gesehen habe, ist Modefotografie ein Traum von mir. Sie waren so kreativ, haben ihre eigene Ästhetik stark inkorporiert und so im Grunde einen ganz neuen Stil der Modefotografie erfunden.
FACES: Künstliche Intelligenz ist ein großes Thema, gerade in der Kunst und der Fotografie. Was hältst du davon?
Kasperi Kropsu: Ich finde sie schrecklich. KI ist das Schlimmste und Unnatürlichste überhaupt. Ein Computer stiehlt die Kunst von einem Menschen und verwandelt sie in bedeutungslose und seelenlose Bilder. Da steckt null Menschlichkeit drin. Ich hoffe, es ist nur ein Trend, der schnell wieder verschwindet.
FACES: Was denkst du von FotografInnen, die KI verwenden?
Kasperi Kropsu: Ganz ehrlich? Sie sind faul und haben kein echtes Talent. Solche Fotografien haben ja nichts mehr mit der Welt zu tun, in der wir leben. Je weiter wir uns von der Realität entfernen, desto schlimmer wird alles.
FACES: Wird KI also die kreativen Branchen ruinieren?
Kasperi Kropsu: Ich glaube, das Bedürfnis nach echten menschlichen Verbindungen wird immer da sein – ein Verlangen nach Berührungen und Emotionen, die kein Computer erzeugen kann.
„Die sozialen Medien sind schlecht für unsere mentale Gesundheit“
FACES: Ebenfalls kaum wegzudenken in unserer Zeit sind die sozialen Medien. Was hältst du von diesen? Sind Instagram und Co. gute Tools, um als KünstlerIn zu wachsen, oder findest du es schwierig, dich abzuheben und ein Publikum zu finden?
Kasperi Kropsu: Die sozialen Medien sind schlecht für unsere mentale Gesundheit. Wenn man ständig die Highlights anderer Leute sieht und sich mit ihnen vergleicht, vergisst man, für sich selbst zu leben. Ich vermisse die Zeit, in der sie uns noch nicht komplett vereinnahmt haben. Aber ohne Instagram hätte ich wahrscheinlich keine Karriere als Fotograf. Trotzdem ist es schwierig, aus der Masse herauszustechen, wenn die eigene Arbeit nicht wirklich einzigartig und außergewöhnlich ist. Auf dem Handy habe ich Instagram mittlerweile deinstalliert. Es ist ein Zwiespalt: Ich brauche es, um als Fotograf zu arbeiten, aber das Leben ist so viel besser ohne.
FACES: Wo sprudelt deine Inspirationsquelle?
Kasperi Kropsu: In den Fünfziger- bis Neunzigerjahren. Alle Fotos und Filme aus dieser Zeit inspirieren mich.
FACES: Was tust du, um eine kreative Blockade zu überwinden?
Kasperi Kropsu: Ich sehe mir viele Filme an und blättere in Fotobüchern. Von beidem habe ich eine Sammlung. Und in 99 Prozent der Fälle hilft ein Spaziergang.
FACES: Farbe oder Schwarz-Weiß?
Kasperi Kropsu: Meine Augen sehen immer zuerst die Farbe, wenn ich durch die Straßen schlendere. Aber Schwarz-Weiß ist gut für Momente, in denen Farben eher ablenken, und es funktioniert auch besser bei hartem Licht.
FACES: Analog oder digital?
Kasperi Kropsu: Digital wegen der Bequemlichkeit, analog wegen der Ästhetik. Ende letzten Jahres habe ich komplett auf digital umgestellt. Ich liebe es aber, die Welt durch die Glaslinse statt durch den Bildschirm zu sehen.
FACES: Welche Ziele hast du für deine kreative Zukunft?
Kasperi Kropsu: Wenn ich für den Rest meines Lebens an verschiedenen kreativen Projekten Teil sein könnte, reisen, fotografieren, Ausstellungen und Fotobücher machen könnte, wäre das ein Traum.
Kasperi Kropsu
Kasperi Kropsu wuchs in Oulu im Norden Finnlands auf. 2015 zog es ihn in die Hauptstadt, wo er bis heute lebt. Vor dem Fotografieren galt seine Leidenschaft dem Skateboarden, das er wegen einer Verletzung aufgab. Statt die Fotos in Skatemagazinen zu bewundern, nahm er die Kamera selbst in die Hand und begann, das Leben in Helsinki zu dokumentieren.
Neugierig geworden auf die Arbeit von Kasperi. Auf seinem Instagram und seiner Website siehst du noch mehr davon.
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Fotos: © Kasperi Kropsu