Elena Spirina baut Duftschlösser. Solche, in deren Türme die Erinnerungen an bedeutende Momente wohnen. Denn nichts bringt die Vergangenheit so sinnlich zurück ins Jetzt wie ein unvergessliches Aroma. 2020 gründete Elena in ihrer Heimat Frankreich das Parfum Maison Anomalia Paris. Nachhaltige Produktion und ein luxuriöses Resultat sind das erklärte Ziel der Marke. Aber auch die Freiheit der KundInnen, sich eine ganz persönliche Duftkombination zu alchemieren. Im Interview nimmt uns die Creative Director von Anomalia Paris mit auf eine olfaktorische Zeit- und Weltreise – von französischen Turnhallen bis hin zur Auto-Rallye durch die Wüste Afrikas. Und verrät außerdem, welche Parfum-Fauxpas man besser vermeiden sollte.

FACES: Welche Gerüche erinnern dich an deine Kindheit?
Elena Spirina: Der Geruch meiner Turnhalle, in der ich rhythmische Sportgymnastik trainierte, kommt mir in den Sinn – eine Mischung aus Gummibällen, Teppich und dem Holzboden, auf dem wir Choreografien einstudierten. Dann ist da noch der salzige Duft der Meeresluft, da ich in der Nähe des Ozeans aufgewachsen bin; das knackige, frische Aroma der grünen Äpfel aus dem Garten. Der Duft des Parfums „Chanel N°5“ und der kräftige rote Lippenstift meiner Großmutter bleiben unvergesslich. Ebenso der Duft der Lancôme-Handcreme, die meine Mutter immer benutzte und seltsamerweise auch der Geruch von Motorradbenzin.
F: In welchem Alter hast du angefangen, Parfum zu tragen? Kannst du dich an deinen ersten Duft erinnern?
ES: Ich habe recht früh angefangen, Parfum zu tragen. Etwa im Alter von fünf bis sechs Jahren, wenn auch nicht mit großer Absicht. Meine ersten Erfahrungen sammelte ich mit den Parfums meiner Mutter und Großmutter – „Chanel N°5“, „Diorissimo“ von Dior und „Poison“ von Dior. Später, während der Schulzeit, war mein allererstes persönliches Parfum „Anaïs Anaïs“, ein Geschenk meines Freundes.
F: Bevor du Anomalia Paris gegründet hast, warst du in der Film- und Marketingbranche tätig. Erzähle uns mehr darüber.
ES: Ich habe Anfang der Zweitausenderjahre eine der führenden Agenturen für Marketingkommunikation gegründet. Wir betreuten Marketing- und Werbekampagnen für zahlreiche große Marken. Interessanterweise spielte ich eine entscheidende Rolle bei der Einführung der Armani-Privé-Düfte in Moskau. Im Anschluss daran habe ich eine „Bibel“ für Armani Privé Parfums erstellt – ein luxuriöses Buch mit fesselnden Geschichten und atemberaubendem Bildmaterial. Unsere Arbeit erstreckte sich auch auf die Organisation exklusiver privater Veranstaltungen auf globaler Ebene, bei denen wir mit bekannten Namen wie dem Cirque du Soleil, den Scorpions, Dita Von Teese und Preston Bailey sowie Bruno Aveillan für Videowerbung zusammenarbeiteten. Bei einer besonderen Gelegenheit arbeiteten wir mit Parfumeur Francis Kurkdjian zusammen, was den Beginn einer langjährigen Freundschaft markierte. Außerdem produzierten wir preisgekrönte Werbespots, Dokumentarfilme für das Fernsehen und Musikvideos für verschiedene KünstlerInnen.
„Wenn du es sehen kannst, kannst du es auch filmen; eine ähnliche Philosophie gilt für die Parfumerie.“
F: Wie hilft dir deine frühere Arbeit in diesen Bereichen jetzt in der Parfum-Branche?
ES: Alles, was ich in meinem Leben gemacht habe, ist eng mit der Kunst verbunden – auch der Sport. Rhythmische Gymnastik ist zum Beispiel eine der künstlerischsten Sportarten der Welt. Aber um das klarzustellen: Ich bin keine Parfumeurin, sondern Creative Director. Ich ziehe eine Parallele zur Kinematographie, wo das Sprichwort lautet: Wenn du es sehen kannst, kannst du es auch filmen; eine ähnliche Philosophie gilt für die Parfumerie. Ich visualisiere den Duft und nehme sein Aroma wahr, noch bevor er existiert. Dank dieser Fähigkeit kann ich für die MeisterparfumeurInnen, mit denen wir zusammenarbeiten, die präzisesten und detailliertesten kreativen Briefings erstellen.
F: Was waren einige der anfänglichen Herausforderungen bei der Einführung der Marke? Wie hast du sie gemeistert?
ES: Die Zeit. Die Zeit ist unsere größte Herausforderung. Ich ziehe es vor, schnell und effizient zu arbeiten, aber unsere Branche schreitet aufgrund der Besonderheiten der Produktion und der Zertifizierung nur langsam voran. Selbst die Neuformulierung eines Duftes – ein Prozess, der Kreativität erfordert – nimmt Zeit in Anspruch, da er auch eine Reifezeit erfordert. Das kann bedeuten, dass man wochen-, manchmal monatelang warten muss, ohne Gewissheit über das Endergebnis zu haben. Ich sage oft, dass das Leben kurz ist – ich will alles haben, und zwar schnell. Ich musste jedoch lernen, die Zeit zu respektieren. Und das ist nach wie vor die größte Herausforderung, die ich zu meistern habe.
F: Du spielst eine wichtige Rolle im kreativen Prozess des Parfumdesigns. Als Gründerin von Anomalia Paris bist du aber auch für die Leitung des Unternehmens verantwortlich. Wie bringst du diese gegensätzlichen Aspekte unter einen Hut?
ES: Gute Frage! Einer der Hauptpfeiler der DNA von Anomalia ist die Dualität. Ich habe das Gefühl, dass ich mehrere Persönlichkeiten in mir trage. Die eine ist zutiefst künstlerisch und kreativ, während die andere geschäftsorientiert ist. Die eine ist freundlich und geduldig, während die andere anspruchsvoll und durchsetzungsfähig ist. Diese Eigenschaften in Einklang zu bringen, kann eine Herausforderung sein, aber ich genieße es wirklich. Manchmal kann ich fast körperlich spüren, wie mein Gehirn zwischen Kreativität und Finanzen oder Marketing und Produktion wechselt. Um effektiv zu bleiben, weise ich bestimmte Tage für verschiedene Aufgaben zu – einige für kreative Arbeit, einige für Finanzen, andere für Marketing – und ich stelle sicher, dass ich auch etwas Zeit für mich selbst habe.
F: Du besitzt eine große Sammlung seltener und alter Parfums. Erzähl uns davon – was sind einige deiner Lieblingsdüfte? Welche sind besonders ungewöhnlich?
ES: In meiner Sammlung gibt es ein paar alte Düfte, die ich wirklich sehr schätze. Dazu gehören ein „Chanel N°5“ Cologne, das zu Lebzeiten von Mademoiselle Coco Chanel herausgegeben wurde, und eine Erstausgabe von „Diorissimo“. Dies sind zeitlose Klassiker – ikonisch und grundlegend für die Welt der Düfte. Auch die seltenen Flakons von Mitsouko nehmen einen besonderen Platz auf meiner Favoritenliste ein. Meine Mutter war nie so süchtig nach Düften wie ich, aber eines Tages schenkte sie mir ihre gesamte, akribisch aufbewahrte Sammlung. Sie hatte sie über Jahre hinweg in perfektem Zustand aufbewahrt, was sie für mich noch wertvoller macht. Ihre Sammlung umfasst eine Vielzahl von Miniaturparfums, insbesondere von Lancôme. Diese Miniaturen sind bei weitem die unbezahlbarsten und einzigartigsten Schätze in meiner Sammlung. Ich wuchs umgeben von diesen zarten Flakons auf, und sie sind ein Teil meiner Kindheitserinnerungen. Sie fühlen sich auch heute noch lebendig an, als trügen sie die Essenz dieser wertvollen Momente in sich.
„Parfums sind ein künstlerischer Ausdruck – ein persönliches Spiel, bei dem man frei experimentieren kann.“
F: Bei Anomalia Paris spielt auch das Layering, also das Kombinieren verschiedener Düfte, eine große Rolle. Was sollte man dabei beachten? Gibt es bestimmte Düfte oder Techniken, die besonders gut miteinander funktionieren?
ES: Wichtig ist: Freiheit. Freiheit, und noch einmal Freiheit. Die Leute nehmen die Verwendung von Düften oft zu ernst. Aber Parfums sind ein künstlerischer Ausdruck – ein persönliches Spiel, bei dem man frei experimentieren kann. Du kannst so viele Düfte mischen, wie du möchtest – es ist deine Entscheidung und deine kreative Spielwiese. Niemand sollte dir vorschreiben, wie du Parfums verwenden solltest. Dennoch gibt es ein paar grundlegende Richtlinien, die dir den Einstieg erleichtern. Wenn du zum Beispiel einen blumigen Duft zu einem holzigen oder lederartigen Parfum hinzufügst, ist das fast immer eine sichere Wahl – du kannst wirklich nichts falsch machen. Vor allem Moschus ist unglaublich einfach zu kombinieren und passt zu fast allem. Mit etwas mehr Erfahrung kann man dann auch kühn experimentieren, indem man zwei oder drei komplexe Düfte gleichzeitig übereinander legt und so einzigartige Mischungen kreiert. Es gibt mehrere anerkannte Techniken, wie z. B. das vertikale Auftragen und das parallele Auftragen. Meiner Meinung nach ist eine echte Schichtung jedoch dann gegeben, wenn du mehrere Düfte auf dieselbe Stelle sprühst, so dass sie vollständig miteinander verschmelzen und interagieren können. In diesem Mischungsprozess liegt die wahre Magie.
F: Was sind einige Parfumtrends für den kommenden Sommer? Und welche Düfte werden sich immer anhaltender Beliebtheit erfreuen?
ES: Rote Früchte, Moschus, von Tee inspirierte Düfte und innovative Oud-Stile prägen die Trends für dieses Jahr. Vor allem scheint es darum zu gehen, mit Düften positive und aufmunternde Schwingungen zu erzeugen. Florale und süße Düfte haben einen unvergänglichen Charme. Während Kreativität völlig einzigartige und ungewöhnliche Parfums hervorbringen kann, bleiben süße Düfte weltweit ein Dauerbrenner. Natürlich variieren die Vorlieben je nach kulturellen Einflüssen. Einige Regionen bevorzugen leichte und luftige Düfte, während andere zu kräftigen, tiefen und intensiven Noten tendieren. Insgesamt sind die Favoriten durchweg süße und fruchtige Düfte – sie sind zeitlose Champions.
F: Was sind die häufigsten „Parfum-Fauxpas“, die man vermeiden sollte?
ES: Das ist eine heikle Frage. Einer der häufigsten Fehler ist die Wahl eines extrem starken Parfums mit einer überwältigenden Duftnote. Manche mögen zwar die Kühnheit genießen, aber solch intensive Düfte können für andere aufdringlich sein. Die übermäßige Projektion eines Duftes stört oft seine Eleganz und seinen Charme. Für mich liegt der wahre Luxus eines Parfums in seiner Subtilität und Raffinesse – Eigenschaften, die überwältigenden Düften oft fehlen. Interessanterweise neigt der Markt dazu, Potenz, Langlebigkeit und Sillage zu bevorzugen, wobei sich viele Menschen zu starken Düften hingezogen fühlen. Dieser Trend hebt jedoch oft die Essenz von Eleganz und Raffinesse auf. Für mich verkörpert Luxus Freiheit – die Fähigkeit, sich anzupassen und zu verändern. Dazu gehört auch, dass man sein Parfum mehrmals am Tag wechseln kann, um es den verschiedenen Anlässen anzupassen, so wie man auch sein Outfit wechseln kann. Eine solche Vielseitigkeit ist mit sehr starken Düften nur schwer zu erreichen. Das Streben nach Langlebigkeit und Sillage ist daher nicht der richtige Ansatz, wenn es um echte Raffinesse und Luxus geht. Dennoch gibt es Momente, in denen wir uns alle nach etwas Mutigerem und Durchsetzungsfähigerem sehnen. Das richtige Gleichgewicht zwischen persönlichen Vorlieben und gesellschaftlicher Rücksichtnahme ist entscheidend.

„Für mich liegt der wahre Luxus eines Parfums in seiner Subtilität und Raffinesse.“
F: Dein neues Parfum heißt „Sahara 4800“. Es ist eine Zusammenarbeit zwischen Anomalia Paris und der legendären Rallye Dakar. Wie kam es zu dieser unerwarteten Kombination? Und wie kreiert man einen Duft, der von einem Autorennen durch die Wüste inspiriert ist?
ES: Der Duft ist von der Rallye Dakar inspiriert – zwar nicht direkt von dem Rennen selbst, aber von drei Kernelementen, die es repräsentiert: die schiere Kraft des menschlichen Willens, die unvergleichliche Schönheit der Natur und die Stärke fortschrittlicher Technologie. Durch die Verbindung dieser drei Säulen entsteht ein wirklich fesselndes und einzigartiges Universum. Dahinter steckt auch eine sehr persönliche Verbindung – mein Ehemann. Er fuhr für das deutsche X-Raid-Team und wurde mit seinem Mini zweimal Weltmeister und Dakar-Sieger. Ich habe schon immer leidenschaftliche, furchtlose Menschen bewundert – diejenigen, die das scheinbar Unmögliche erreichen und ständig an ihre Grenzen gehen und diejenigen, die den Intellekt haben, ein solch anspruchsvolles Spiel zu meistern. Das machte „Sahara 4800“ zu einem sehr persönlichen Parfum und zu dem einzigen Duft, den ich als Parfumeurin ganz allein zu kreieren versucht habe. Ich habe immer noch den Originalflakon, den ich komponiert habe. Schließlich beschloss ich aber, diese kreative Herausforderung an die talentierte Parfümeurin Sidonie Lancesseur weiterzugeben. Sie hat die Essenz meiner Vision perfekt eingefangen und das endgültige „Sahara 4800“ in ihrem allerersten Versuch kreiert. In diesem Jahr sind wir mit unserer Vision noch einen Schritt weiter gegangen und haben in Saudi-Arabien bei der Rallye Dakar 2025 die Frauen von Dakar sowie das X-Raid-Team unterstützt. Mein Ziel ist es, die Energie dieser Erfahrung weltweit zu verbreiten und diese außergewöhnlichen Frauen und Männer und ihre kraftvollen Geschichten der Welt zu präsentieren.
F: Welchen Duft assoziierst du mit deinem Zuhause?
ES: Ich habe das Glück, in Südfrankreich zu leben, eingebettet in die Berge, am Rande des Waldes. Ich habe einen atemberaubenden Garten voller weißer Blumen, darunter Magnolien und Sakura. Ich liebe auch den Regen. Der Duft von feuchter Erde, gemischt mit dem Aroma eines blühenden Gartens, ist zweifellos der Duft meines Hauses. Und natürlich Kaffee. Ich trinke sehr viel Kaffee.
Anomalia Paris
Als die Welt den Atem anhielt, tauchte Elena Spirina ein in die Welt der Düfte. Während der Pandemie lancierte die Unternehmerin Anomalia Paris. Das Maison produziert luxuriöse Parfums aus nachhaltiger Herstellung. Ergänzt wird das Angebot von Duftkerzen und Raum Fragrances. Anomalia versteht seine Kreationen als Farben und die Haut der KundInnen als Leinwand: Durch eine individuelle Kombination von Düften entstehen Kunstwerke, die sich dem Anlass und der Tageszeit anpassen.
Tauch ein in die Duftwelt von Anomalia Paris.
Fotos: © Anomalia Paris
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