Im Sommer 2018 verlor die Welt mit Anthony Bourdain einen Mann, der wie kein anderer zeigte, dass Essen verbindet – und politisch ist. Auch sieben Jahre später tippen Fans noch gebrochene Herzen unter Instagram-Fotos des Starkochs. Nun wagt sich das Indie-Filmstudio A24 an ein Biopic: „Tony“, voraussichtlich 2026 im Kino, erzählt von Bourdains Leben vor dem Ruhm.

Das Filmstudio A24, bekannt für Werke wie „Moonlight“, „Midsommar“, „The Lobster“ und „Sorry, Baby“, setzt weiter auf mutige Charakterstudien. In der Pipeline stehen „The Smashing Machine“ über MMA-Fighter Mark Kerr (mit Dwayne Johnson) und „Marty Supreme“ über Tischtennis-Ikone Marty Reisman (mit Timothée Chalamet und Tyler, The Creator). 2026 folgt dann „Tony“ – der erste Spielfilm über Koch, Autor und TV-Legende Anthony Bourdain.
Bourdains Tod schockte 2018 die Welt, doch der „Elvis der Bad Boy Chefs” bleibt unvergessen. Auf Social Media lebt sein Mythos weiter – und wie. Zwischen viralen Tweets wie „girls don’t miss their ex, they miss Anthony Bourdain“, Video-Hommagen, die Clips des 1,93 m großen Charmeurs mit Frank Oceans „White Ferrari“ oder Ethel Cains „Crush“ untermalen und ständig neuen „Wir vermissen dich”-Kommentaren unter seinen Posts, wird klar: Bourdain war mehr als ein Starkoch. Er war Rebell, Geschichtenerzähler, politischer Kommentator, nachdenklicher Beobachter – und für viele der Erste, der die Kulturen Myanmars, des Kongo oder der West Bank respektvoll porträtierte. Dank „Tony“ wird diese Welt nun auch für neue Fans zugänglich.


Was wir über das Biopic wissen
Newcomer Dominic Sessa („The Holdovers”) spielt Bourdain. An der Seite des 22-Jährigen: der Oscar-nominierte Schauspieler Antonio Banderas in einer noch unbekannten Rolle.
A24 produziert den Streifen, Regie führte Matt Johnson („BlackBerry”). Die Dreharbeiten, bei denen auch professionelle Köche am Set waren, fanden von Mai bis Juli 2025 statt.
Dabei handelt es sich nicht um Bourdains erstes Mal auf der großen Leinwand. Dem „Punkrocker unter den Gourmets” wurde bereits 2021 ein Film gewidmet: Regisseur Morgan Neville wühlte für die Dokumentation „Roadrunner“ (namensgebend: das Lied der Modern Lovers, eine von Bourdains Lieblingsbands) durch Archivmaterial und interviewte Tonys engsten Kreis, um den Mann mit der Lederjacke und den tieftraurigen Augen greifbarer zu machen.
Zu Bourdains Vermächtnis sagte Neville damals: „Anthony hat wahrscheinlich mehr dafür getan, dass wir einander verstehen, als jeder andere in der Geschichte des Fernsehens. Er berührte Menschen nicht trotz, sondern wegen seiner Schwächen“.
Das Projekt erhielt viel Lob, wurde aber auch kritisiert, da Neville nicht davor zurückschreckte, KI einzusetzen, um die Stimme des Verstorbenen zu reproduzieren.


Der Mann des 21. Jahrhunderts
Der neue Spielfilm zeigt einen jungen, noch unbekannten Anthony im Sommer 1976. Zwei Jahre vor dem Start seiner Ausbildung am Culinary Institute of America arbeitete der Sohn jüdisch-katholischer Eltern in einem Restaurant in Provincetown, Massachusetts. Dort erlebte Bourdain einen Schlüsselmoment: Bei einer Hochzeit sah er, wie die Braut heimlich mit dem Küchenchef verschwand – und wusste: „Ich will Koch werden.“
Fortan kämpfte Tony sich durch die Küchen der Stadt, bis er mit „Kitchen Confidential” (inspiriert von George Orwells „Down and Out in Paris and London”) einen Gastronomie-Bestseller schrieb, der die Branche auf den Kopf stellte. Darin gibt der Mann, der später mit Barack Obama Nudelsuppe in Vietnam schlürfen sollte, Einblicke hinter die Kulissen amerikanischer Küchen. Eine Mischung aus Anekdoten, Branchenkritik und Liebeserklärung. Bald folgten TV-Hits wie „No Reservations” und „Parts Unknown”, die Köchen vom Central Market in Phnom Penh bis hin zur Sterneküche in Tokio eine Stimme gaben. Bourdains Credo: „Above all, do not be a snob.“
Insgesamt bereiste der Amerikaner fast 100 Länder und drehte 248 Episoden. Sein ursprünglicher Pitch für die erste Serie war simpel: „Ich reise um die Welt, esse eine Menge Zeug und mache im Grunde, was zur Hölle ich will”. Dabei ließ er die Liebe für Kultur, die ihm schon seit Kindheitstagen nahegelegt wurde – sein Vater war Musikmanager, seine Mutter New-York-Times-Journalistin – liebevoll einfließen. So war die Buenos-Aires-Episode eine Anspielung an „Happy Together“, einen Film des Hongkonger Regisseurs Wong Kar-wai, während die Schwarz-Weiss-Sequenzen der Rom-Folge immer wieder an den Stil des italienischen Autorenfilmers Federico Fellini erinnern.
Bourdain trug bei Dreharbeiten ein Ansteckmikrofon, das alle Alltagsgeräusche aufnahm („Wir möchten, dass ihr wisst, wie sich ein Ort anhört – nicht nur, wie er aussieht“). Zugleich war Tony sich der Paradoxie seiner Mission bewusst: Der New Yorker stieß auf die großartigsten Orte – fand aber, dass er diese ruinierte, indem er sie zu Touri-Hotspots machte.
Restaurantkritiker Alan Richman sagte über Bourdain: „Ich kenne niemanden, der mehr ein Mann des 21. Jahrhunderts ist als er – wie er handelt, wie er spricht, seine Verrücktheit, seine Vulgarität.”

Schöngeist mit Wut im Bauch
Anthony scheute politische Statements nicht. Berüchtigt ist die Abrechnung mit Henry Kissinger in seinem Memoir „A Cook’s Tour“ (2001): „Wer in Kambodscha war, will Kissinger mit bloßen Händen erschlagen.“ 2018 retweetete er das Zitat und fügte hinzu: „Ich bereue viele Dinge, die ich mal gesagt habe. Das nicht.“ Anlass war die Rolle des ehemaligen US-Außenministers bei der geheimen Teppichbombardierung des neutralen Landes während des Vietnamkriegs, bei der laut dem Historiker Ben Kiernan, Gründungsdirektor des Genocide Studies Program der Universität Yale, schätzungsweise 50.000 bis 150.000 ZivilistInnen starben – andere gehen von über 500.000 Opfern aus.
Im Gespräch für ein preisgekröntes Porträt erinnerte Journalist und Autor Patrick Radden Keefe („Empire of Pain”, „Say Nothing”) Bourdain daran, dass er oft Menschen kategorisch verurteilt, später aber mit ihnen zu Abend gegessen habe – wie bei Starkoch Emeril Lagasse. Bourdains trockene Antwort: „Emeril hat Kambodscha nicht bombardiert.“
Im selben Artikel beschreibt Keefe den klassisch geschulten Koch als „Apollo in drag as Dionysus“ – ein Schöngeist im Gewand eines Hedonisten. Bourdain war verletzlich und kompromisslos zugleich, jemand, der sich in jeder Begegnung wirklich einließ und gerade deshalb unvergesslich blieb.
Süchte und Dämonen
Hinter dem Charme lag eine unruhige Seele. Bourdain sprach offen über seine Depressionen, bipolare Episoden, Angstzustände, Zwangsstörungen und Drogensucht: Heroin, Crack, Kokain. Im Nachruf, den Keefe geschrieben hat, erinnert sich der Journalist daran, wie Bourdain erzählte, dass er sich als junger Mann willentlich in die Sucht gestürzt habe. Der Grund für seinen Entzug: Tony hasste es, von der Gnade anderer abhängig zu sein. Außerdem sei er eine eitle Person gewesen und konnte „das, was er im Spiegel sah, nicht mehr ausstehen”. Den Ausstieg schaffte Bourdain ohne Reha, arbeitete danach manisch. Und trank weiter.
Tonys Freunde beschrieben ihn als getrieben, stets auf der Suche nach etwas, das sich nicht festhalten ließ. Keefe deutete an, dass diese Ruhelosigkeit vielleicht weniger Abenteuerlust als Flucht vor inneren Dämonen war. Jede Vorstellung, ein leichtfüßiges Porträt eines Mannes mit Traumjob zu schreiben, sei schnell von der Erkenntnis verdrängt worden, dass Bourdain nie wirklich zufrieden war.
Für den gefeierten TV-Host war Gastronomie „die Wissenschaft des Schmerzes“, wie er in seinem New Yorker Essay „Don’t Eat Before Reading This” schrieb. Auch in diesem Text, der später zu „Kitchen Confidential” werden sollte: Ein Hinweis darauf, warum man montags keinen Fisch bestellen sollte und ein ausführliches Ablassen über Brunch.
Skurrile Ängste und grosse Pläne
2016 verriet der frühere Küchenchef der Brasserie Les Halles in New York im Gespräch mit Talkshow-Host Conan O’Brien, dass er „eine morbide Angst vor allem Schweizerischen“ habe. Alpenpanoramen, Kuckucksuhren, Käse mit Löchern – doch vor allem Jodeln ließe ihm das Blut in den Adern gefrieren: „Das spürst du bis ins Mark.“ Auf der Liste seiner Top-5-Ängste war das Land auf dem dritten Platz – zusammen mit Clowns („Bedrohliche Figuren mit mörderischen Neigungen“) , Pantomimen („Wie Katzen suchen sie jene auf, die sich vor ihnen fürchten“), Karaoke („Peinliches mache ich lieber im Privaten”) und Ratten.
Eine von Tonys ambitioniertesten Ideen war der Bourdain Market: ein gigantisches Streetfood-Paradies à la dem Sci-Fi-Film „Blade Runner“ („High-End-Gastronomie, inszeniert als rauer, polyglotter Mikrokosmos”). Visas sollten den weltbesten Köchen ermöglichen, auf dem 350-Millionen-Dollar-Markt zu arbeiten. Das Ziel: ein begehbares Pendant zu den Fernreisen des Mannes, der für seine Überzeugung, dass grundlegende Kochfertigkeiten eine Tugend seien, bekannt ist. Doch das Projekt, das für 2019 geplant war, blieb unvollendet. Am 8. Juni 2018 wurde Anthony Bourdain von seinem Freund und Fachkollegen Éric Ripert in einem Hotel im französischen Kaysersberg-Vignoble tot aufgefunden. Er war 61 Jahre alt.

Ein kompliziertes Erbe
Patrick Radden Keefe beschrieb Bourdain als jemanden, dessen Stärken und Schwächen untrennbar miteinander verwoben waren – der ständig suchte, ständig hinterfragte, und dabei immer wieder Dinge zurückließ, die er nicht hätte zurücklassen sollen
Ob „Tony“ diesem vielschichtigen Mann – dem Koch, dem Poeten, dem Süchtigen, dem Provokateur, dem Gonzo-Journalisten – gerecht werden kann, wird sich 2026 zeigen.
Unter Fans spalten sich die Geister: Manche freuen sich über jede Möglichkeit, in die Welt der Ikone einzutauchen. Andere sind sicher: Bourdain hätte ein Biopic über sich gehasst.
Der kulinarische Rockstar hinterließ kein einfaches, aber ein tief bewegendes Erbe – und die Erkenntnis, dass Reisen, gutes Essen und ehrliche Gespräche die Welt verändern können. Selbst sagte er: „Travel isn’t always pretty, it even breaks your heart. The journey changes you; it should change you. You take something with you. Hopefully, you leave something good behind.”

Du willst wissen, warum du montags im Restaurant keinen Fisch bestellen willst? Lies hier das New-Yorker-Essay, das Bourdain in Nullkommanichts zum literarischen Star machte.
Bist du auch ein Foodie, aber anders als Bourdain eher tierfreundlich unterwegs? Hier die besten veganen Spots in Zürich.
Fotos: Production Companies „Roadrunner“: CNN Films, HBO Max, Tremolo Productions, Zero Point Zero, Distributed by Focus Features.