Wenn Cannes ruft, kommen sie alle. Die einen mit Glanz und Gloria, die anderen mit Faltenrock und Floskel. Und dann gibt es die, die einfach da sind, wirken und auffallen, ohne es zu wollen. Eine davon: Schirin Thoma. Doch der Reihe nach.
Der rote Teppich als Schaulauf der Eitelkeiten
Mai, Mittelmeer, Megastars. Das Setting der Filmfestspiele in Cannes 2025 bot alles, was ein gut sortierter Gossip-Motor braucht. Fotografen im Anschlag, Pressevertreter mit gespitzten Mikrofonen, ein paar abwesende Netflix-Gesichter, ein paar zu präsente Influencer mit Selfie-Sticks. Und mittendrin ein Moment, der nicht nach Aufmerksamkeit schrie, aber sie dennoch bekam.
Die Rede ist nicht von DiCaprio, auch nicht von einer der Kardashian-Schwestern, sondern von einer jungen Frau, die mit 165 Zentimetern nicht gerade in die erste Reihe der Klatschpresse drängt. Und trotzdem: Schirin Thoma war da. Und wie.
Keine Skandale, keine Show – nur Stil
Wo andere beim Auftritt auf der Croisette mit tiefen Ausschnitten, übertriebenem Glitzer oder künstlich inszenierten Stolperern arbeiten, stand Thoma ruhig. Fast unbeeindruckt. Sie trug ein Kleid des Designers Michael Cinco, gefertigt in opulenter Detailarbeit, in Szene gesetzt mit der Sorgfalt eines Uhrmachers.
Cinco, der Mann hinter der Robe, ist in der Branche kein Unbekannter. Dass er bereits Jennifer Lopez und Aishwarya Rai eingekleidet hat, spricht für sich. Seine Entwürfe stehen für Dramaturgie in Stoffform. Für Thoma war es nicht der erste Kontakt mit der Haute Couture, aber definitiv einer der öffentlichsten.
Wer ist diese Frau überhaupt?
Ein paar Fakten schaden nie: Geboren 2006 in München, Ausbildung an der Schweizer Filmschule Filmkids, erste Modeljobs im Alter von zwölf Jahren, internationale Laufstege seit ihrem Durchbruch in Moskau. Parallel dazu die Gründung eines eigenen Labels – Modelabel Schirin Style. Kein Merch, keine Capsule-Kollektion, sondern echte Mode mit Haltung. Nachhaltig, klar, auf Bestellung gefertigt.
Die Mode von Thoma ist kein Fashion-Statement, sondern ein Arbeitsnachweis. Drei Kollektionen sind bereits erschienen, zwei weitere geplant. Wer genauer hinschaut, merkt schnell: Da ist jemand nicht nur Model, sondern Macher.
Keine Modelmasse, kein Kompromiss
Thoma hat nie das Spiel mitgespielt, in das viele ihrer Kolleginnen hineinrutschen. Sie erfüllt nicht die Norm, sie definiert ihre eigene. Und das funktioniert. Denn ihre Karriere ist nicht das Ergebnis von Glück oder Vitamin B. Sondern von Disziplin, Bildung, Fleiss.
Dass sie nebenbei noch als Komparsin arbeitet, scheint fast unterzugehen. In der Schweiz hat sie bereits kleinere Rollen übernommen, war in Werbespots zu sehen, lieferte solide Leistungen ab. Kein Bohei, keine Casting-Show, kein Drama.
Cannes als Bühne für das Unausgesprochene
Zurück nach Cannes. Während Prinzessin Xenia von Sachsen, die mit Thoma angereist war, in erster Linie mit dem Comeback ihrer Band Sqeezer kokettierte, war Thoma der Ruhepol. Kein Lächeln zu viel, kein übertriebenes Posen, keine dramatischen Gesten. Stattdessen: Anmut, Präsenz, Timing.
Der Kontrast hätte kaum grösser sein können. Hier die royale Rampensau mit Reality-TV-Vergangenheit, dort das disziplinierte Multitalent, das seine Energie lieber in Stoffbahnen und Schnitte steckt. Man hätte es nicht besser casten können, wenn es ein Drehbuch gegeben hätte.
Stil braucht keine Lautstärke
Auch beim Make-up war Zurückhaltung das Gebot der Stunde. Verantwortlich dafür: Rima und Sima, mit internationalem Ruf. Ihr Markenzeichen: natürliche Akzente, perfekter Glow, kein Instagram-Filter-Effekt. Es passte zur Trägerin, es passte zum Kleid, es passte zum Abend.
Thoma hat sich in Cannes nicht neu erfunden. Sie hat einfach nur konsequent das gezeigt, was sie ausmacht. Und das ist in einer Branche, die oft mehr Schein als Sein produziert, vielleicht die grösste Nachricht überhaupt.
Was bleibt?
Ein Abend, ein Kleid, ein Auftritt. Keine Trennung, kein Skandal, kein Fauxpas. Nur eine Frau, die ihren Weg geht. Und der führt sie, das darf man inzwischen sagen, immer öfter auf internationale Bühnen. Dass sie sich dabei nicht verbiegen lässt, ist beachtlich. Dass sie dabei auch noch Bodenhaftung behält, erstaunlich. In Zeiten von Fast Fashion und kurzlebigem Ruhm setzt sie auf Substanz.
Und das, ganz nebenbei, ist die beste Geschichte, die man aus Cannes mitnehmen konnte.
