Im Atelier von Sun Yitian wird das Massenprodukt zum Kunstobjekt. Und das Kunstobjekt ist jetzt zum Modeaccessoire vollendet worden. Die chinesische Künstlerin verrät uns, wie es zur Kollaboration mit Louis Vuitton gekommen ist – und erzählt die vielleicht wahrhaftigste Underdog-Story der Modegeschichte.
Wir beginnen mit einem Happy End. Denn wenn Sun Yitian nach ihrem Lieblingsmotiv in der neuen Pre-Fall Women’s Collection von Louis Vuitton gefragt wird, kommt eine Feel-Good-Story, für die wir uns eigentlich die Filmrechte sichern sollten. Drei Jahre ist es her, als vor dem Atelier der Künstlerin ein Hundewelpe unter das Rad eines Trucks geriet. „Ein Strassenhund, wie man sie überall in den ländlichen und urbanen Gebieten von China findet“, berichtet Yitian. Sie befreite das Tier aus seiner misslichen Lage und wurde mit einer zarten Freundschaft belohnt: „Sie wurde zur wichtigsten Begleiterin in meinem Leben. Die Hündin kam jeden Tag in mein Atelier und begleitete mich beim Malen. In ihren Augen sah ich, dass sie jemanden braucht, der sich um sie kümmert.“ Nicht nur sorgte sich Yitian fortan um ihre neue Gefährtin, sie verewigte ihren Hundeblick als Gemälde für die Bilderreihe „Peep Into Two Worlds With One Eye“. Diese dient jetzt Louis Vuitton als Grundmotiv für ein neues Sortiment von Kleidern, Leder-Accessoires und Parfums. So brachte es diese traurig schauende Streunerin vom Autounglück zum Luxus-Gassi um die ganze Welt. „Einst hatte sie kein Zuhause. Als sie dann auf einer Louis-Vuitton-Tasche auftauchte, empfand ich das als magisches Gefühl“, freut sich Sun Yitian.
Inspiration aus der Kindheit wird zum Kunsthandwerk
Der transformativen Kraft von Kunst wurde sich die Chinesin im jungen Alter bewusst: „Einmal bin ich nach einem Mittagsschlaf im Kindergarten aufgewacht und habe eine Prinzessin für meine KlassenkameradInnen gemalt. Mit einer Schere schnitt ich kleine Lücken in den Rock der Figur und hielt das Bild gegen die Sonne. Der Rock schien zu leuchten und die KlassenkameradInnen waren völlig überrascht und glücklich“, erinnert sich Yitian. „In diesem Moment war mein Interesse am Malen geweckt. Nach all den Jahren hat sich seit diesem Nachmittag im Kindergarten nichts geändert. Jeden Tag, wenn ich aufwache, möchte ich malen und die Leute mit meinen Bildern glücklich machen.“ Inspiration findet sie dort, wo andere nur Plunder wähnen. Knallfarbiges Plastikspielzeug, das von Fabriken in Massen herausgepumpt wird, inszeniert Yitian fotografisch als Stilleben und übersetzt dieses mit Acrylfarbe auf die Leinwand. Was wir einst als Kind in den Händen hielten, tritt jetzt als überlebensgroße Ikone in unser Bewusstsein zurück. Nicht länger als unbeschwerter Zeitvertreib, sondern Symbol für die Probleme unserer Welt: Massenproduktion, Überkonsum, Schnelllebigkeit. Doch durch die Sorgfalt und Grandezza, die Yitian ihren Motiven zuteil kommen lässt, werden diese negativen Etiketten abgerissen und das billige Banale verwandelt sich in strahlendes Kunsthandwerk. Lange bevor Kens Mojo Dojo Casa House im vergangenen Kinosommer unsere Feuilletons beschäftigte, regten Yitians Malibu gebräunte Puppenköpfe im Museum zum Nachdenken an. Gegenwartskunst „Made in China“ hat durch das Werk von Sun Yintian internationale Strahlkraft gewonnen. Ihre Bilder finden sich inzwischen in Museen und Kunstsammlungen Europas, Australiens und Amerikas. Und haben prominente Fans gewonnen – wie Louis Vuittons Artistic Director Nicolas Ghesquière. Als im vergangenen Herbst Yitian in der Pariser Esther Schipper Galerie ausstellte, wurde sie vom Luxusmodehaus zu einer Zusammenarbeit eingeladen. „Mir wurde eine Auslage von Stoffen gezeigt, die durch die Farben meiner Arbeiten inspiriert waren. Ebenso meine gedruckten Werke auf verschiedenen Materialien. Ich bewunderte die Kreativität und Effizienz der Marke und konnte vieles über die exquisiten Produktionstechniken lernen”, beschreibt Yitian das initiale Rendezvous.
Die Künstlerin und das Modehaus
Da sie die meiste Zeit in ihrem Atelier verbringe und dort ohnehin alle Kleider mit Farbe besudelt, legt Yitian bei ihrer persönlichen Kleiderwahl primär Wert auf Bequemlichkeit. Doch als Studentin schöner Dinge ist sie auch von Mode fasziniert. Ihre Designs nicht mehr nur an der Wand hängen zu sehen, sondern in Bewegung auf dem Laufsteg bei der Premierenshow im Long Museum von Shanghai, war ein imposantes Erlebnis: „Wenn die Musik spielt, kommt das Modell mit riesigen Tierprints auf dich zu, als ob dynamische Gemälde im Rhythmus dir entgegenschreiten. Langsam verschwinden dabei die Tierbilder und es bleiben nur abstrakte Linien und Farben übrig, die sich ineinander verschlingen”, beschreibt Yitian die Erfahrung. „Durch die ständige Rotation der Modelle verschwinden schließlich sogar die Farben und alle Entwürfe werden zu einer Art Schwarz-Weiß, einer Art Leere. In diesem Moment entsteht ein Randbereich, der eigentlich menschenleer sein sollte. Aber er ist noch immer erfüllt von Trommelschlägen, Licht, Ehrgeiz und Sehnsucht”, rundet sie den transzendentalen Moment ab.
Vom Wegwerfspielzeug zum Kunstwerk zum Modeaccessoire haben die Motive von Sun Yintian einen faszinierenden Zyklus vollbracht. In jeder Instanz werden sie als Symbol mit einer neuen Bedeutung aufgeladen und auf andere Weise konsumiert. Verspielt und farbenfroh lösen sie jedoch in jeder Form beim Publikum ein spontanes Glück aus – ganz so, wie es damals nach einem Mittagsschläfchen im Kindergarten angefangen hat.
Louis Vuitton x Sun Yitian: Animogram
Louis Vuittons Pre-Fall Kollektion? Tierisch gut. Das Maison lanciert eine Auswahl seiner Klassiker neu mit den Designs von der chinesischen Künstlerin Sun Yitian. Taschen, Sneaker, Sandalen und diverse Accessoires werden so zur Spielwiese einer bonbonbunten Menagerie. Auch die von Nicolas Ghesquière entworfene Ready-to-Wear-Linie aus Kleidern, Mänteln, Pullovern und Röcken sorgt dafür, dass der Herbst garantiert nicht grau wird. Zudem schmücken die putzigen Kreaturen als Limited-Edition-Anhänger die Flakons der Signature Parfums „Spell On You”, „Imagination” und „Heures d‘Absence”. Mit einer solchen Gute-Laune-Offensive fällt es doch gleich viel leichter, sich vom Sommer zu verabschieden.
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Fotos: © Louis Vuitton