Die Sache mit Gault&Millau sitzt Catherine Cruchon ordentlich im Nacken. Schließlich hat das familiengeführte Weingut Henri Cruchon einen Ruf zu verlieren, listet es sich doch seit Jahren auf der Bestenliste der Schweizer Winzer ein. Die 33-jährige Waadtländerin lässt sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Dafür hat sie zu viel gesehen, in den Burgunder Weinbergen, in Südafrika, Israel oder Argentinien ihre Erfahrungen als Winzerin gemacht. Cruchon weiß, was sie tut – und wollte das schon immer: Wein anbauen,Gäste bewirten, die Liebe zum guten Tropfen weitergeben. Der Vater übergab ihr jüngst das Zepter zum Weingut, das Catherine nun in Richtung bio-dynamischen Anbau schwenkt.
FACES: Wie sind Sie zur Winzerei gekommen?
Catherine Cruchon: Zuerst wurde ich von der Ambiance in unserer Cave verführt. Ich habe das Glück, aus einer Winzerfamilie zu stammen, und ich habe die lebhaften Abende und die festliche Atmosphäre, die während der Weinlese im Keller herrschte, immer geliebt. Meine erste Weinlese machte ich im Alter von acht Jahren, als ich meine Schulferien damit verbrachte, mit meinem Vater Wein herzustellen.
F: Wie beschreiben Sie die Domaine Henri Cruchon in einem Satz?
Catherine Cruchon: Eine große Familie mit viel Leidenschaft.
F: Von der Idee übers Konzept bis zum Weingut: Wie lange haben Sie für diesen Weg gebraucht?
Catherine Cruchon: Es dauerte neun Jahre vom Verlassen der Pflichtschule bis zur Rückkehr auf das Gut. Ich begann mit einer Lehre als Kellermeisterin, machte dann während eines Jahres die Berufsreife, danach ein Praktikum und die HES in Önologie, bevor ich ein Jahr auf einem Weingut in Oregon (USA) verbrachte. Danach kehrte ich in die Domaine zurück, reiste allerdings weiterhin während zwei Monaten des Jahres. Danach hatte ich das Vergnügen, in Südafrika, Israel, Burgund und Argentinien zu arbeiten. Das Treffen meiner Frau und ihrer Tochter im Jahr 2015 ermöglichte es mir, mich ein wenig neu zu orientieren. Sie brachten mich dazu, mich niederzulassen und hier etwas aufzubauen. Ich habe dann meine Reisen stark reduziert, obwohl ich noch lange nicht am Ziel angekommen bin. Das Schöne an diesem Beruf ist, dass man nie aufhört zu lernen und sich zu verbessern. Ich habe noch eine Vielzahl von Projekten, auf deren Durchführung ich mich hier freue.
F: Weshalb müssen wir unbedingt bei Ihnen Wein kaufen?
Catherine Cruchon: Sie müssen nicht. Ich ermutige Sie jedoch, uns zu besuchen, unsere Weine zu verkosten und etwas Zeit mit uns zu verbringen. Wenn Sie dann erobert sind, sollten Sie die Antwort auf die Frage selbst gefunden haben.
F: Woran müssen Winzer denken, worüber sich andere keine Gedanken machen?
Catherine Cruchon: Das Wetter ist ein sehr wichtiger Punkt in unserem Geschäft. Wir können es nicht beeinflussen, und die Prognosen sind nicht immer korrekt. Wir müssen uns also anpassen. Wenn wir zum Beispiel geplant hatten, eine Rebe zu ernten, und es regnet, müssen wir das Ende des Regens abwarten. Deshalb müssen wir stets sehr flexibel bleiben, denn es ist die Natur, die regiert!
F: Worüber machen Sie sich zu viele Sorgen?
Catherine Cruchon: Ich glaube, dass ich mich manchmal zu sehr darum kümmere, was die Leute denken. Ich bin an der „Geburt“ unserer Weine von der Traube bis zur Flasche beteiligt, ein Weinjahrgang ist ja immer eine Menge Arbeit… Wenn jemand unseren Wein nicht mag, und man lässt es mich wissen, gebe ich zu, dass mich das oft mehr berührt, als es sollte. Ich nehme es mir zu sehr zu Herzen, es fühlt sich ein bisschen so an, als werde man persönlich kritisiert oder zumindest ein Familienmitglied. Aber ich arbeite daran, und vor allem mag ich Kritik, denn diese ist es, die mich auch voranbringt.
F: Wie sind Sie als Chefin?
Catherine Cruchon: Ich mag flache Hierarchien. Dafür umgebe ich mich mit Menschen, die leidenschaftlich, kompetent und engagiert sind und mit denen ich mich gut verstehe. Ich arbeite gerne im Team, um unsere Erfahrungen und Gefühle zu teilen und um gemeinsam Entscheidungen zu treffen.
F: Welche Eigenschaften braucht ein guter Winzer?
Catherine Cruchon: Ich denke, es erfordert Bescheidenheit, und man muss wissen, wie man die Natur und ihr Ökosystem beobachtet. Kreativität und Durchhaltevermögen sind ebenfalls sehr wichtig, genauso wie ein offener Geist.
F: Was mögen Sie an Weinliebhabern am meisten?
Catherine Cruchon: Den Austausch, den wir mit ihnen haben können. Ich sehe es gerne, wenn Gäste und Weinliebhaber bei uns eine gute Zeit haben und sich lächelnd verabschieden.
F: Was können Sie bei Gästen nicht leiden?
Catherine Cruchon: Ich finde es nicht sehr angenehm, wenn uns ein Kunde um einen Rabatt bittet. Ich verbringe gerne Zeit mit Menschen, öffne Flaschen, um ihnen unsere Weine zu zeigen, biete ihnen hin und wieder eine Flasche an, um ihnen für ihre Treue zu danken. Wenn mich andererseits jemand um einen Rabatt bittet, ist mir das unangenehm.
F: Was ist Ihr Anspruch an Ihre Produkte und Ihr Weingut, und wie haben sich die Ansprüche Ihrer Gäste in den vergangenen Jahren verändert?
Catherine Cruchon: Ich stelle fest, dass unsere Kundschaft immer sensibler für ökologische Aspekte wird, was gut so ist, da wir unsere Reben seit mehr als 20 Jahren biologisch-dynamisch bearbeiten. Mein Ziel ist es, in dieser Richtung weiterzugehen und zum Beispiel an unserer Klimaneutralität zu arbeiten. Außerdem will ich Weine anbieten, die Emotionen wecken, und unsere Kunden wissen lassen, dass die Reben, die wir für die Herstellung dieses Weins bearbeitet haben, mit Respekt vor der Natur und ihrer
Umwelt bearbeitet werden.
F: Als Winzer erleben Sie einen spannenden Alltag. Welche Geschichte müssen Sie uns unbedingt erzählen?
Catherine Cruchon: Es stimmt, dass wir den Tag oft mit netten Anekdoten abschließen. Heute kam ein Kunde mit seinem Fahrrad vorbei und nutzte die Gelegenheit, um sich auf dem Weg nach Lausanne ein paar Flaschen zu gönnen. Nun, wussten Sie, dass man insgesamt 24 Flaschen Wein auf einem einzigen Fahrrad transportieren kann? Das erinnert mich an einen anderen Kunden, der so genau wusste, wie viele Weinkisten in seinen Wagen passen, dass am Schluss wirklich nur noch für ihn selber Platz war. Sowohl im Kofferraum als auch auf dem Rück- und Beifahrersitz saß jetzt Wein. Mein Großvater erzählt gerne solche Anekdoten, aber sie werden insgesamt seltener, da die große Mehrheit unserer Kunden es heute vorzieht, sich weniger Flaschen auf einmal und dafür regelmäßiger zu gönnen.
F: Worauf achten Sie, wenn Sie einen Wein trinken?
Catherine Cruchon: Ich achte gerne darauf, was mir der Wein erzählt.
F: Welches ist der beste Wein der Welt (außer Ihrem eigenen), den Sie selber schon getrunken haben?
Catherine Cruchon: Ich bin ein Pinot-Noir-Liebhaber, und die besten Weine, die ich je trinken durfte, sind die aus dem Weingut von Lalou Bise-Leroy in Vosne-Romanée (Frankreich).
F: Welches Weingut würden Sie neben Ihrem eigenen gerne besitzen?
Catherine Cruchon: Ich werde es Ihnen nicht sagen können. Es gibt viele Weinbaukollegen, die ich bewundere und für die ich sehr gerne ein Jahr lang arbeiten würde, zum Beispiel als Praktikantin. Aber ich habe nicht den Wunsch, einen anderes als unser Gut zu besitzen.
F: Wo steht Ihr Bett?
Catherine Cruchon: Nicht im Weinberg, aber im Herzen der Region Morges.
Das sagt Catherine Cruchon über…
Sangria: Ich mag sie frisch und nicht zu süß.
Korkensammler: Ist das ein Beruf? Den kenne ich gar nicht…
Trinkgeld: Ich bin gerne großzügig mit Trinkgeld. Während meines Studiums habe ich in einer Weinbar gearbeitet. Da habe ich gelernt, wie wichtig Trinkgeld ist. Für den Kunden ändert sich der Preis des Abends damit nicht um viel, während es für die Person, die das Trinkgeld erhält, ein sehr schöner Bonus am Ende des Tages ist.
Biertrinker: Niemand ist perfekt.
Weine mit Schraub- verschluss: Und weg ist er (der Verschluss). Probieren wir den Wein.
Nachhaltigkeit: Das ist der Kern meiner Arbeit: Das Land gehört uns nicht, wir sind nur ein Leben lang seine bescheidenen Bauern.
Weingläser: Zalto ist eine bemerkenswerte Glasmanufaktur. Ich liebe es, in diesen Gläsern zu degustieren.
Weinführer: Ich liebe dich auch (nicht).
Schokolade: Ich bin ein großer Schokoladenfan. Am liebsten mag ich dunkle Sorten mit Nüssen oder als Eis.
Spuckfässer: Sie sind bei professionellen Verkostungen unverzichtbar.
Kater: Aua!
Das Weingut Henri Cruchon
Man könnte sagen, durch die Adern der Familie Cruchon fließt schon seit jeher Wein. 1976 gründet Henri Cruchon als Sprössling einer Winzerdynastie schließlich die eigene Domaine. Die Söhne stoßen hinzu, deren Frauen und irgendwann die Enkel. Und so sprudelt der Wein in der Nähe des Genfersees heute in der dritten Generation und so bewusst umweltschonend, dass die Tropfen der Cruchons gar das Demeter-Siegel tragen. Sechzehn Rebsorten gedeihen hier mosaikartig auf mehreren Rebbergen, mehrheitlich biodynamisch produziert, vor Ort gekeltert und in die Flaschen gefüllt, aus denen Gäste den Wein später genießen dürfen.
Domaine Henri Cruchon, Route du Village, 1112 Echichens, Schweiz, www.henricruchon.com
Catherine Cruchon
Wein ist nicht einfach nur alkoholhaltiger Traubensaft. Hinter jeder Flasche steckt eine Geschichte und stehen Menschen wie Catherine Cruchon, die als Winzerin in dritter Generation das Familienweingut Henri Cruchon mitgestaltet. Spätestens beim Thema Biodynamik lodern die Augen der jungen Westschweizerin auf wie bei ihren Gästen nach dem ersten Schluck Pinot Noir.
Hier findest du ein Interview mit einem weiteren Cool Host.