Ikea-Möbel findet man in Bianca Gerbers Wohnzimmer keine – Teile aus ihrer eigenen Kollektion dagegen schon. Die Designerin und Gründerin des Schweizer Interieur-Brands Les Bois berichtet, wie sie Nägel mit Köpfen gemacht hat und jetzt den Traum des eigenen Unternehmens lebt.
FACES: Wie kam es dazu, dass du Möbel-Designerin geworden bist und schlussendlich ein eigenes Möbelunternehmen gegründet hast?
Bianca Gerber: Ich bin eines Tages aufgestanden und habe mich selbst gefragt, was mich eigentlich erfüllt. Ich bin zum Entschluss gekommen, dass ich nicht mein ganzes Leben als Angestellte verbringen möchte, sondern etwas Eigenes hervorzubringen und als Unternehmerin durchzustarten. Schon als Teenagerin war ich fasziniert von Architektur, Design, Mode und Pop Culture. Ich konnte damals Stunden in Möbelhäusern verbringen und mir die Statik der Möbel ansehen. Also habe ich mir gedacht: „Hey, stell doch einfach selbst Möbel her!“ Mit 35 hat es relativ lange gedauert, bis ich zu dieser Erkenntnis gelangt bin. In London habe ich schließlich ein Jahr am Central Saint Martins College of Art and Design studiert. Das ging alles ziemlich schnell – und das kam mir ganz gelegen, wollte ich doch zurück in der Schweiz bald meine eigene Firma gründen. Zurück zuhause ging es dann direkt an die Planung: Ich erstellte den Businessplan, das Logo, den Namen und machte mir Gedanken zum Marketing, alles ganz alleine. Mein Ziel war es schon immer, etwas Eigenes aufzubauen und irgendwann mein eigener Boss sein zu können.
FACES: Warst du schon immer handwerklich begabt?
Bianca Gerber: Ich war schon früher in der Werkklasse ein fingerfertiges Kind und habe zuhause selbst Dinge gebaut. Wir hatten lange keinen Fernseher, stattdessen hat uns meine Mutter zum Kneten und Malen animiert. Mein Vater ist Kunstmaler und meine Mutter Psychologin, Designerin und Schneiderin. Ich glaube, die Kreativität wurde mir etwas in die Wiege gelegt – aber nicht nur. Ich habe so viele Facetten, und das ist nur eine davon.
One-Woman-Show
FACES: Hattest du beim Aufbauprozess von Les Bois helfende Hände, oder hast du alles alleine gestemmt?
Bianca Gerber: Ich habe so viel wie möglich alleine gemacht – um das Logo zu gestalten, hätte mich eine Grafikerin beispielsweise einige Tausend Franken gekostet, und das konnte ich mir als Start-up zu Beginn nicht leisten. Also habe ich mich einen Tag lang hingesetzt und das Logo selbst skizziert. Bei komplexeren Themen wie etwa dem Business-Plan oder operativen Thematiken half mir ein guter Freund, der ein wichtiger Bestandteil beim Aufbau meines Brands war. Ohne InvestorInnen und einem großen Team im Rücken muss man etwas geduldiger sein. Das Gute dabei ist, dass alles organisch wächst und die Unabhängigkeit nicht verloren geht.
FACES: Was war auf deinem Weg als Unternehmerin und beim Aufbau von Les Bois bisher der größte Stolperstein, und wie hast du diesen überwunden?
Bianca Gerber: Eigentlich gab es nie einen Punkt, an dem ich komplett überfordert war. Immer, wenn ich an meine Grenzen gekommen bin, habe ich mir eine SpezialistIn an Bord geholt. Zum Beispiel war bei der Webseite von Anfang an klar, dass ich externe Hilfe brauchen würde. Ich habe aber auch die Einstellung, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt. Der Start ins Unternehmertum ist aber auf jeden Fall nicht zu unterschätzen und bringt neben ersten Erfolgserlebnissen auch zahlreiche Hindernisse mit sich. Doch ich bin sehr ehrgeizig, und wenn ich etwas will, ziehe ich das auch durch.
Ein Meilenstein nach dem nächsten
FACES: Was war dein größter Meilenstein?
Bianca Gerber: Eine meiner jüngsten Errungenschaften ist die Zusammenarbeit mit dem internationalen Nachrichten- und Lifestylemagazin Monocle von Tylor Brûlé, worauf ich sehr stolz bin.
FACES: Gibt es etwas, was du bei der Gründung eines neuen Unternehmens heute anders machen würdest?
Bianca Gerber: Eigentlich nicht. Einzig würde ich an meinen perfektionistischen Zügen arbeiten und versuchen, mich weniger in Details zu verlieren.
FACES: Wenn Les Bois eine Person wäre, wie würdest du dir diese vorstellen?
Bianca Gerber: Ich würde sagen, bodenständig, bescheiden und zurückhaltend. Wahrscheinlich wohnhaft in den Schweizer Bergen und verwurzelt und im Einklang mit der Natur. Les Bois wäre definitiv eine Person, die zukunftsorientiert ist.
Ein gutes Möbelstück muss mehr können, als schön auszusehen
FACES: Was muss ein gutes Möbelstück alles können, und welche Ansprüche hast du mit Les Bois daran?
Bianca Gerber: Meine Möbel müssen funktional sein und dürfen nicht einfach nur gut aussehen. Sie sollten aus Materialien bestehen, hinter denen ich auch stehen kann: richtig deklariertes Holz, von dem ich weiß, woher es kommt. Dabei muss ich den Überblick und die komplette Kontrolle innehaben. Wo und wie das Material verarbeitet wird, ist besonders wichtig. Es sollte in einem Land produziert werden, in dem ArbeitnehmerInnen nicht nur für einen Hungerlohn und ohne Pipipause stundenlang arbeiten. Aufgrund dessen, dass meine Möbel in der Schweiz von Hand produziert werden, haben sie aber auch einen gewissen Preis. Ich würde jedoch nie Möbel auf den Markt bringen, die diesen Ansprüchen nicht gerecht werden.
FACES: Welches heimische Schweizer Holz ist dein Favorit?
Bianca Gerber: Momentan bin ich ein riesiger Fan der Räucher-Eiche. Die Eiche wird dabei durch Ammoniak natürlich verdunkelt. Das Holz bleibt jedoch nicht so wie bei anderen Lackierungen offenporig – das finde ich genial. Ich wollte unbedingt dunkles Holz anbieten, da ich den Schwarz-Faktor in Kombination mit minimalistischer Einrichtung so gut finde.
Les Bois arbeitet mit Schweizer ProduzentInnen zusammen
FACES: Wie sieht deine Zusammenarbeit mit Schweizer SchreinerInnen aus?
Bianca Gerber: Man sitzt zum Teil stundenlang zusammen und entwickelt das Produkt und die Statik und mehrere Prototypen, bis man den einen gefunden hat. Wir sind ein sehr eingefleischtes Team, und Vertrauen ist sehr wichtig für unsere Zusammenarbeit. Es war nicht einfach, die richtigen ProduzentInnen zu finden. Es hat auch Momente gegeben, in denen ich eine Zusammenarbeit abbrechen musste, weil es an Qualität oder Vertrauen gefehlt hat. Man muss hinter seinem Produkt stehen können – das Zwischenmenschliche ist dabei sehr wichtig. Aktuell bin ich jedoch sehr glücklich mit meinem Produzenten.
FACES: Was hebt Massivholz von verarbeitetem Holz ab?
Bianca Gerber: Das Spezielle am Massivholz ist, dass es offenporig ist und atmen kann. Wenn man es in ein Schlafzimmer stellt, reguliert es das Klima. Wenn es kälter wird, zieht sich das Material zusammen, und wird es wärmer, dehnt es sich aus – das fand ich bei meiner Recherche sehr interessant. Die Schweiz besteht zu 30 Prozent aus Wald. Da muss man kein Holz aus China importieren, damit es hier verarbeitet werden kann. Massivholz hat einen gewissen Charme, da es lebendig und individuell ist und über eine gewisse Struktur verfügt.
FACES: Würdest du deine KundInnen eher als alte Design-Hasen oder neumodische Hipster bezeichnen?
Bianca Gerber: Ich würde sagen, quer durchs Band. Ich schlage die Brücke zwischen Hippie und Banker. Unter meinen KundInnen sind alle möglichen Leute, was ich super interessant finde. Obwohl der alte Hase eher kritischer ist und auch höhere Ansprüche hat als der Hipster.
Lokal, heimisch, nachhaltig
FACES: Welche ökologischen Praktiken fließen in die Produktion deiner Möbel?
Bianca Gerber: Einer der wohl wichtigsten Schritte in der Markenbildung und -entwicklung ist die Identität der Marke selbst, deshalb wollte ich meine Möbel nicht irgendwo auf der Welt herstellen, sondern lokal in Schweizer Schreinereien und ausschließlich aus heimischen Hölzern. Meine Zielsetzung war, so nachhaltig wie möglich meine Möbelmarke aufzubauen und zu vertreiben. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich meinen Brand nachhaltig und ehrlich kultivieren kann und nicht einfach Greenwashing zu Werbezwecken betreibe.
FACES: Aus jedem Baum entsteht eine einzigartige Marmorierung; macht das den Charme von Massivholz aus?
Bianca Gerber: Genau! Wir Menschen sind auch nicht perfekt, wir alle haben unsere Macken und Eigenheiten. Beim Baum ist es genau so: Jede Maserung ist individuell und erzählt eine eigene Geschichte. So gibt es Risse und Macken. Meine Zielgruppe ist umweltbewusst und anspruchsvoll. Wer bei Les Bois ein Möbel kauft, schätzt die Qualität und kauft bewusst ein Unikat und kein Massenprodukt.
Minimalismus on fleek
FACES: Deine Designs sind minimalistisch und haben keine Schnörkel. Welcher Gedanke steckt dahinter?
Bianca Gerber: Ich bin in meinem Leben viel gereist und von verschiedenen Orten inspiriert worden – am meisten jedoch von Tokyo. Die japanische Architektur mit hartem Beton und minimalistischen Holzmöbeln hat mich schon immer fasziniert. Sogar meine Visitenkarte ist von der japanischen Metro inspiriert. Jedenfalls wollte ich das Rad nicht neu erfinden und lieber etwas kreieren, das zeitlos ist und überall reinpasst. Meine Möbel finden überall Platz – sei es nun in einer modernen Wohnung, einem Geschäftsgebäude, Loft oder Chalet.
FACES: Wie nehmen Schweizerinnen und Schweizer Möbel wahr im Vergleich zum Ausland? Sind wir dazu bereit, mehr Geld für nachhaltige Möbel zu bezahlen?
Bianca Gerber: Ich bin nur im lokalen Markt und habe keinen großen Vergleich. Ich habe zwar in London gelebt und bin mit großem Herzschmerz zurückgekommen, aber für ein Start-up ist die Schweiz ideal. Meine Target-Customers sind SchweizerInnen, die sich meine nachhaltigen Möbel auch ohne Augenzwinkern leisten können.
Eine neue Challenge jeden Tag
FACES: Was bereitet dir am meisten Freude, wenn du morgens aufstehst und an deine Arbeit denkst?
Bianca Gerber: Ich freue mich jeden Tag auf eine neue Challenge. Es gibt fast täglich etwas Neues, das ich mit Les Bois bewältigen muss – das treibt mich an und jagt mich morgens aus dem Bett. Aktuell bin ich in einer Phase, in der ich viel Resonanz bekomme, und da muss man perfektionistisch sein. Aber genau diese Passion ist der Grund, weshalb ich ein Start-up gegründet habe.
FACES: Gibt es bei dir zuhause auch Ikea-Möbel? Und was hältst du allgemein von Ikea-Möbeln?
Bianca Gerber: Bei mir zuhause stehen zurzeit keine Ikea-Möbel, in meinen jüngeren Jahren sah das allerdings anders aus. Das Grundkonzept von Ikea ist schon ziemlich cool, Einzelteile zu verpacken und sie dann als einfach transportierbare Do-it-yourself-Artikel zu verkaufen. Ikea bietet teilweise echt schöne Designs an. Die aktuelle Varmblixt-Kollektion von Sabine Marcelis finde ich brillant.
Viel Bewunderung für Steve Jobs
FACES: Mal angenommen, du dürftest das Wohnzimmer deines größten Idols mit Les-Bois-Möbeln ausstatten, wessen Wohnzimmer wäre das?
Bianca Gerber: Wahrscheinlich Steve Jobs – er lebt zwar nicht mehr, aber ich bewundere ihn als Visionär, und es wäre eine riesige Challenge gewesen, sein Haus einzurichten. Er hatte ein riesiges Anliegen und war so perfektionistisch, dass er dieses nie richtig möbliert hat. Es existieren Bilder von ihm, wie er mitten in einem leeren Wohnzimmer allein mit einer einzigen Lampe sitzt. Solche Challenges liebe ich.
FACES: Du hast einmal erwähnt, dass deine rebellische Seite auch in deine Möbel fließt. Wie schlägt sich dieser Rebellionsdrang in deinen Möbeln nieder?
Bianca Gerber: Ich glaube, ich bin eine Mischung aus Punk und Spießerin. Ich liebe einen gewissen Grad an Luxus, verreise gerne, mag schöne Dinge, aber wenn man ein Start-up aufzieht, ist man automatisch auch ein Punk: Man betritt ein Feld des Unbekannten und braucht viel Power, um sein Ding auch bei einem Nein durchzuziehen. Für mich war ein Nein immer ein Ja – in dieser Hinsicht bin ich eine kleine Rebellin.
FACES: Gibt es bestimmte Möbelstücke aus deiner Kollektion, auf die du besonders stolz bist?
Bianca Gerber: Ich habe kein spezifisches Lieblingsstück; das Sideboard war jedoch mein erstes Möbel, das ich ins Leben gerufen habe, quasi der goldene Schnitt, der natürlich einen emotionalen Wert hat. Das Sideboard steht immer noch in meinem Wohnzimmer und stellt für mich den Beweis dar, dass ich an einem Punkt die Flagge eingeschlagen habe.
Führen will gelernt sein
FACES: Hat sich deine Sichtweise auf Führungspositionen dadurch verändert, dass du nun dein eigener Boss bist?
Bianca Gerber: Meine Sichtweise hat sich mit mehr Verantwortung sicherlich verändert. Man muss viele Entscheidungen treffen – klar kann man sich andere Meinungen und Expertisen einholen, doch im Endeffekt muss man viel alleine erledigen. Das ist manchmal nicht ohne. Meine Philosophie war dabei stets: learning by doing.
FACES: Gibt es ein spezielles Feedback von deinen KundInnen, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Bianca Gerber: Ich liefere meine Möbel immer noch selbst aus, was die KundInnen sehr schätzen. Einer der schönsten Momente war für mich, als ich kürzlich ein Möbelstück an eine Käuferin ausgeliefert habe: Sie hat sich so darüber gefreut, dass sie mir anschließend eine herzliche Mail mit Fotos ihres dekorierten Wohnzimmers zukommen ließ. Ich glaube, das sind die Momente, an denen ich festhalten muss.
FACES: Gibt es bestimmte Projekte oder Kooperationen, die du mit Les Bois gerne noch realisieren würdest?
Bianca Gerber: Es laufen gerade mehrere Projekte parallel. Ein eigener Showroom zu bewirtschaften, steht sicherlich ganz oben auf meiner Liste. Außerdem bin ich schon in der Startposition für eine neue Kollektion; Tische, Betten und Stühle werden in die nächste Produktentwicklungsphase gebracht. Auch den Wiederverkauf meiner bestehenden Kollektion treibe ich voran.
Les Bois
Möbel begleiten uns im besten Fall ein ganzes Leben lang. Mit ein Grund für die minimalistischen Designs, die Bianca Gerber für ihr eigenes Label Les Bois designt. Inspiriert wird sie dazu von der großen weiten Welt, wobei im Anschluss auf die Werkbank ihrer Schweizer ProduzentInnen ausschließlich naturbelassene heimische Hölzer kommen. Dass diese Sideboards und Regale die billigen Ikea-Genossen um Längen überdauern, versteht sich da von selbst.
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Teaserfoto & Fotos: © Yves Bachmann, Cyrill Matter